Umrahmt von Weinbergen und Apfelfeldern stelle ich auf der kleinen Terrasse meinen Kaffee ab und kicke mit der Fußspitze den Holzstuhl zurück, um mich auf ihn fallen zu lassen. Ein paar Minuten lang beobachte ich nur all das was mich umgibt, die Schönheit der Natur um mich und meinen gleichmäßigen Atem, bevor ich an diesem Montagmorgen meinen Laptop aufschlage. Vor mir liegen weit entfernte Täler, steile Abhänge, sich windende Straßen, wie gemalt auf die Steilhänge platziert. Überall grün und blau, das sich abwechselt. Das Panorama der umliegenden Berge mit schneeweißen Spitzen erhebt sich eindrucksvoll um mich herum. Ich schirme meine Augen vor der Sonne ab, um nicht geblendet zu werden.
In jeder Reihe zwischen den grünen Apfelreben unterhalb der Terrasse sind Netze aufgestellt, die bald aufgespannt werden, um die Apfelernte vor möglichem Hagel zu schützen. Noch sind sie geschlossen und geben den Blick auf die Reben frei. Die Ernte beginnt erst im August und geht bis in den November rein. Hier ist es so ruhig, dass ich kurz innehalte, und nur die Stille genieße. In der Großstadt sind meine Gedanken dauerhaft von einem leisen Smog aus Autos, aus Menschen, aus fremdem Gemurmel übertönt.
Ich sitze für mein neues Buch an diesem Morgen an einem Kapitel über die Sehnsucht nach Berührungen, über die Einsamkeit nach einer Trennung, über den Moment, wenn man sich alleine auf einer Reise zum ersten Mal selbst behaupten muss. Auf der Suche nach dem nächsten Satz, vielleicht dem nächsten Absatz, einer Überleitung, lasse ich den Blick über das Tal schweifen, das man von hier oben nur erahnen kann. Die umliegenden Berge und alles darunter sind in einen schattigen Dunst getaucht, als würde die Sonne sich nur kurz aus unten gelassenen Nebelschwaden herausschälen. So weit oben werde ich dafür mit klarer Luft und schönstem Morgenlicht belohnt. Ich war gestern Abend in der Dämmerung die Serpentinen hierher hoch gefahren, zu einer kleinen Unterkunft auf halbem Weg auf den Pass, die sich aufs arbeiten und kurz abschalten in den Bergen festgelegt hat.
Die Pandemie hat neue Arbeitskonzepte erst möglich gemacht und angestoßen, sich anders zu vernetzen, wenn man sich nicht sehen kann. Müssen wir uns wirklich sehen? Können wir auch von woanders arbeiten? Und wo wäre ein guter Platz dafür, der meine Kreativität oder Konzentration gerade wirklich fördert? Workation als Begriff, arbeiten mit runterkommen zu verbinden, mit der Kraft der Natur wieder aufzutanken und neue Inspiration zu finden. Dolomiten und Zitronenbäume vor dem Fenster zu sehen. Ich bin fasziniert von der Verwebung von österreichischer und italienischer Kultur hier – Südtirol gehört zwar seit Ende des ersten Weltkrieges zu Italien, ist aber großteils deutschsprachig und voller spannender Kultur und Traditionen.

Sarah, die Besitzerin der Unterkunft, die sich kurz mit einem Kaffee neben mich setzt, erzählt mir etwas von der Apfelernte hier, von Wanderstrecken in der Nähe, die wir die Woche abends ausprobieren könnten, und wie sie nach dem Studium zurück gekommen ist. Südtirol ist ihre Heimat. Sie hat die Unterkunft nach ihren Großeltern benannt, Franz und Mathilde. Das ist so zeitlos, erzählt sie mir. Ich nicke ergriffen, und denke an meine Oma, die ich erst Ende letzten Jahres gehen lassen musste.
Am gleichen Nachmittag erkunden wir die Gärten Trauttmansdorff bei Meran und das Schloss, in dem Kaiserin Sissi einst Urlaub machte. Ich stehe fasziniert in ihrem Schlafzimmer und blicke auf die Berge vor dem Fenster. Meran ist in feinen Regen getaucht, und während der Rest der Gruppe in die anliegende Therme geht, bleibe ich draußen sitzen und schlage unten am Bach mein Buch auf. Nur Sekunden kämpft sich die Sonne hervor und ich muss mich aus meiner Jacke schälen. Wir haben die ganze Woche über fünfundzwanzig Grad. Südtirol hat über 300 Tage Sonne im Jahr. Hier wandert man mit der Fast-Garantie auf fabelhaftes Wetter.
Als ich Mitte der Woche auf der Laugenalm stehe und mir der Schweiß von der Stirn rinnt, merke ich, wie unfit ich gerade bin. Es dennoch und mit brennenden Lungen irgendwie bis auf den Gipfel zum zugefrorenen Laugensee geschafft, bin ich glücklich und stolz auf mich. Verschwitzt strahle ich übers ganze Gesicht. Es tut mir gut, gerade hier zu sein. Auf Berge zu klettern und sie dann wieder runter zu rennen wird zu meiner neuen Lieblingsbeschäftigung an den lauen Abenden dieser Woche. Das Adrenalin, das man fühlt, wenn man ganz oben steht und dann los rennt, runter rennt, ist einfach unbeschreiblich.

Wir nehmen uns jeden Tag ein paar Stunden Zeit, um etwas in der Gegend zu erleben: Verbringen eine Mittagspause bei einem Veganen Kochkurs auf einem Kräuterhof (so gesund und ausgewogen habe ich sicher ein Jahrzehnt nicht mehr gegessen), lernen bei einer Apfelführung etwas über den Anbau in der Region (mindestens jeder zehnte Apfel in Deutschland stammt aus Südtirol), arbeiten einen Vormittag in einem anderen Workspace (in einer ehemaligen Kaserne in Vinschgau) und verkosten Wein mit Franz, dem Vinosophen („Wissenschaft ist nur dazu da, um Halt im Leben zu haben“, „Es ist auch schön, wenn man etwas nicht hat“, „Das, was man im Leben erreichen muss, ist sich selbst kennenzulernen. Sonst nichts.“). Inspiration ist für mich all das.
Die frische Luft und die Unternehmungen kurbeln meine Gedanken an: Tatsächlich merke ich, dass ich in weniger Zeit mehr schaffe, wenn ich nur ein paar Stunden des Tages konzentriert am Laptop sitze, weil ich das Ziel habe, dass ich abends noch einmal raus will, meine zwölf Kilometer wandern. Beim Abendessen blicke ich in glückliche und kaputte Gesichter, nachts schlafe ich so tief. Dieser Ausgleich tut gut.

Am letzten Morgen gehen wir mit Berta Waldbaden, sie bietet die Touren jeden Freitag hier in Tisens an. Ganz langsam betreten wir die Waldpfade, jeder für sich. Am Ende des Weges wartet Berta auf uns. „Im Wald zwei Wege boten sich mir dar, ich ging den, der weniger betreten war. Dies veränderte mein Leben. Das ist von Robert Lee Frost“, beginnt sie, als wir bei ihr angekommen sind, und zeigt auf einen kaum als solchen zu erkennenden Pfad, der vom Hauptweg hier abgeht, direkt in das Dickicht hinein. Unter unseren Turnschuhen knacken die Äste. Die Geräusche des Dorfes, wie die der Kirchglocken, werden immer mehr verschluckt, je tiefer wir in den Wald eintauchen. Auf einer kleinen Lichtung, die voll bewachsen ist mit Moos, halten wir an und setzen uns in den Schneidersitz. Ich streiche mit den Händen durch den grünen Flaum aus Moos, der mich umgibt. Er ist warm und weich, fast flauschig.
„Das Sehr-Schnell-Sein nimmt uns die Leichtigkeit und auch die Sanftheit“, erzählt sie leise. „Wir gehen von A nach B und kennen Start und Ziel aber kriegen den Moment nicht mit. Unser Kopf ist so voller Sorgen, dass wir keinen Speicherplatz haben für die Schönheit des Weges. Versucht mal hier diese Woche, den Weg zu genießen, jeden einzelnen Schritt. Wie das Auto vor uns aussieht, wenn wir unterwegs sind, welche verschieden Farben der Wald hat, wonach es hier riecht. Versucht, all die Details zu bemerken.“
Ich schließe meine Augen und lasse mich von ihr, wie die anderen auch, durch eine geführte Meditation leiten. Irgendetwas daran berührt mich so sehr, dass unaufhörlich Tränen meine warmen Wangen hinab tropfen. Ich lasse sie zu, all die Gefühle, die da aufkommen. Alles kommen und ziehen lassen. Danach fühle ich mich so befreit, wie lange nicht mehr. Das Unterwegssein zu genießen, ohne zu wissen, wo man ankommen wollte, war grade mein großes Thema. Hier im Wald löst sich der Knoten, den ich darum gewickelt hatte.

Als wir weiter gehen, den Moosboden barfuß berühren, blicke ich mich um und betrachte die Umgebung, die hohen Baumwipfel, durch die sich das Licht bricht, die verschiedenen Grüntöne, das Braun und Blau. Mein Kopf fühlt sich so klar und befreit an, dass mir in diesen Freiraum die ganze Zeit neue Sätze und Gedanken kommen. Ich muss mich bemühen, mein Handy in der Tasche zu lassen, ich hatte es vorher ausgeschaltet. Mal nicht alles zu notieren, was in meinen Gedanken auf mich einprasselt, so, wie ich es sonst mache. Statt still zu stehen ist mein Kopf hier in der Verbindung mit der Natur voller neuer Ideen. Ich versuche sie ziehen zu lassen, sie werden wieder kommen.
Am Ende des Waldes angekommen, sehe ich wieder das Panorama der Berge vor mir. Diese Woche löst etwas in mir. Eine Schreibblockade der letzten zwei Wochen, ein paar Gedanken die sich festgesetzt haben, jede Menge aufgestaute Emotionen bei unserem Vormittag im Wald. Vielleicht gibt man sich hier hoch oben in den Bergen die Möglichkeit, wirklich einmal loszulassen. Und dann neue Gedanken zu sammeln. Am Abend setze ich mich hin und schreibe in Windeseile alles runter, was mir am Tag für das fehlende Kapitel meines Buches eingefallen ist. Während die Sonne gerade untergeht, kann ich nicht aufhören zu lächeln. Wie von selbst füllen sich neue Seiten. Kraft und Ruhe der Natur inspiriert anders als das bunte Treiben der Großstadt. Statt die Füße in ein Meer zu stecken, mal einen Urlaub zu verbringen, bei dem man die Weitsicht genießt. Ganz oben steht und runter schaut – nicht nur auf Täler und Häuser und Abhänge, auf Wolken und kleine Wege, die sich hochwinden – sondern vielleicht auch auf den Weg, den man bisher gegangen ist. Nicht nur hier direkt vor Ort.

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Mehr Infos zu Workations in Südtirol findest du hier.
Wo wir waren:
Unsere Co-Working-Unterkunft: Franz & Mathilde, Tisens
Ein weiterer Work-Creative-Space: Basis Vinschgau
Naturpark: Gärten Trauttmansdorff, Meran
Kräuter- und Kochkurs: Kräutererbe Bacherhof, Nals
Apfelführung: Grieserhof, Nals
Weinverkostung: Kränzelhof, Tscherms
Waldbaden: Berta Pirchner Margesin, Tisens
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