Wir sitzen an der Bar im Schmitz, jede einen Gin Tonic vor sich, die hier viel günstiger sind, als in der Odessa Bar gegenüber. Da hatten wir gerade 52 Euro für vier Drinks bezahlt, die eine Stunde auf sich warten ließen. Hier rühre ich in meinem 6,50 Getränk und genieße die Lautstärke, das durchmischte Publikum. Irgendwo läuft Fußball, ich schrecke auf, als jemand laut jubelt. Ich mag es hier. Mag die Wärme, den Geruch, die Menschen, die Dunkelheit. Meine Freundin neben mir kichert über ihre eigene Erzählung, und ich betrachte sie ganz fasziniert, ihre Ausstrahlung, diese Begeisterung, mit der sie ihr Leben angeht, ihre Freude.
Im selben Moment tippt mir jemand von hinten auf die Schulter, begleitet von einem “hey…”. Ich drehe mich um, langsam. “Nett euch kennenzulernen, wollt ihr mit zu uns rüber kommen? Ich würde euch gerne auf einen Drink einladen?”
“Das ist super lieb, aber wir verbringen heut einen Abend unter uns, wir sind versorgt”, sage ich und halte kurz freundlich seinem Blick stand, bevor ich mich wieder umdrehe und meiner Freundin zuwende.
“Okay, kein Problem”, lächelt er und und schlendert davon.
Meine Freundin guckt ihm hinterher, irgendetwas zwischen erschrocken und bestürzt.
“Achso, wolltest du mit ihm einen trinken? Ich habs nicht gefühlt.”
“Nein, überhaupt nicht. Du warst so schnell, davon war ich gerade völlig überrascht.” Sie sieht mich an.
“Ach, lass uns doch gerne zu zweit bleiben, dachte ich.”
“… wir haben keinen Kontakt mehr”, erzähle ich kurz darauf, als das Thema weitergezogen ist, zu meinem letzten Wochenende, zucke mit den Schultern und lache.
“Echt? Warum?”
Ich halte ihr mein Telefon hin. “Ich habe geschrieben, dass es mich gefreut hat, es war ein unheimlich schöner Abend, aber dass ich okay bin, wenn wir es bei dem einen Abend belassen.” Dahinter saß ein gelbes Herz-Emoji. Kein “im Moment nicht” oder “erstmal nicht”. Ich war mir darin eigentlich relativ klar. Es war ein erstes Treffen gewesen, eigentlich ganz nett, wir saßen mit Bier im Park und hatten uns wirklich lange und gut unterhalten, Geschichten über die letzten Monate ausgetauscht. Dennoch waren wir einfach grundverschieden, zwei Menschen, die nicht weniger zusammen passen konnten. “Nicht jeder gute Abend braucht unbedingt einen zweiten, weißt du?”
Sie sieht mich wieder so an, so von der Seite, als würde sie erst kurz überlegen, was das bedeutete. „Du kannst das echt gut. Klar deine Grenzen ziehen, meine ich”, sagt sie dann.
“Was meinst du?”, fragte ich zurück, etwas abgelenkt. Der Barkeeper gestikuliert in meine Richtung, ob er schon nachlegen soll, und ich verneine. “Danke, gerade nicht”, lächele ihn an. Es fiel mir nicht immer leicht, aber gerade schon. Gerade hielt ich mich an mein Gefühl, an: Wenn es kein hell yes war, war es ein no.
“Da, da, da…” Sie zeigt nacheinander erst auf die Männergruppe, auf mein Handy, dann auf den Barkeeper vor uns. “Dieses … sich schnell entscheiden. Mich hätte das schon wieder so überfordert, ich bin ja nicht mal in dieser Situation, aber ich hätte wahrscheinlich einfach noch einem Treffen zugestimmt. Und dann noch einem. Oder so. Weil ich manchmal nicht Nein sagen kann, auch wenn ich Nein meine. Oder ich hätte abgewartet, was er machen will. Auch eben, bei ihm da”, sie zeigt durch den Raum auf die Männergruppe, “hätte ich wahrscheinlich zugestimmt, weil ich mich geschmeichelt gefühlt hätte.” Sie lacht. “Ich hätte gar nicht darüber nachgedacht, ob ich das überhaupt will.”
In unserer patriarchalischen Gesellschaft sind es vor allem Frauen, die dazu neigen, sich zu kümmern, um Außenwirkung und die Wahrnehmung anderer: darum, anderen gefallen zu wollen, es anderen recht machen zu wollen, dass Menschen sich in ihrer Gegenwart wohlfühlen. Angenehm und freundlich, bequem eben. Aber wenn man so im Außen war, wie konnte man gleichzeitig im Innen sein, im Einklang mit dem, was man selbst gerade wollte? Es war eine Frage, die sich völlig banal anhörte, aber die trotzdem den Unterschied machte, hatte man einmal gelernt, sie sich selbst immer zu stellen: Will ich das gerade? Oder differenzierter: Mache ich das nur der anderen Person zuliebe? Habe ich das Gefühl, die Person mit meiner Ablehnung zu kränken und handele deswegen nicht so, wie ich gerne würde? Fühle ich mich nur geehrt, ist das nur mein Ego, oder echtes Interesse meinerseits?
Ich wende mich meiner Freundin zu und überlege kurz. „Ich glaub, das kann man lernen”, entgegne ich dann langsam. “Mir hat mal jemand geschrieben, nachdem er mich noch bevor wir uns trafen ‘geghostet’ hatte und ich nur nachfragte, ob alles okay ist: ‘Scusi Luise, die Vibes haben gestern nicht mehr stimmen sollen.’ Fand ich eine witzige Formulierung, bisschen sehr Gen-Z-mäßig und kann alles und nichts bedeuten und bedeutet vor allem: Dass er auf sein Bauchgefühl hört und es sich nicht richtig anfühlt. Es klingt so inhaltsleer, aber niemand fasst es persönlich auf, es ist keine Anschuldigung, dass jemand etwas falsch gemacht hätte, es stürzt niemanden in Unsicherheiten, es lässt nicht einmal weitere Nachfragen zu. Irgendetwas fühlt sich nicht richtig an. Punkt. Stell dir vor, man trifft sich ewig weiter, nur weil beide denken, man tut dem anderen einen Gefallen damit, aber eigentlich hat niemand wirklich Lust darauf.” Wir kannten uns noch nicht mal, aber er zog schon deutlich seine Grenze. Seine Intuition oder er oder was auch immer fühlte es nicht. Perfekt, oder? Seither bin ich immer so vorgegangen und frage mich: Fühlt sich das gerade richtig an?
“Und was, wenn ihn das verletzt? Ich würde niemanden verletzen wollen”, entgegnet sie, irgendwie entmutigt. Sie hat ein riesiges, gutes Herz.
“Naja … unsere Grenzen haben mit anderen nichts zu tun, deswegen müssen wir auch nicht verletzt davon sein, wenn jemand anderes seine gegen uns setzt. Weißt du wie?”
Es ist ein Learning, vielleicht eines, das jeder irgendwann einmal machen muss: Was man selbst möchte und was sich gut anfühlt, welche Kapazitäten man persönlich hat, in sozialen Beziehungen wie Freundschaften, wann man ungewollt über die eigenen Grenzen hinausgeht und erschöpft oder leer zurückbleibt, und dass ein Nein immer okay ist – es auszusprechen genauso, wie es entgegen gebracht zu bekommen. Ablehnung ist nichts Persönliches, wir müssen nicht immer auf alles Lust haben. Es ist okay, etwas nicht zu wollen. Nein zu sagen. Die eigenen Grenzen zu kennen, sich selbst zu kennen, oder irgendwie kennenzulernen, halte ich für absolut gesund. Dazu gehört vor allem auch, die Erkenntnis: Ich kann Menschen mögen, unsere Zeit genießen und für sie da sein wollen, und trotzdem manchmal keine Kapazitäten haben.
“Having boundaries is loving you but loving me at the same time”, habe ich letztens irgendwo
gelesen und mit dem Kugelschreiber in meiner Hand dick eingekringelt.
Christina says
Toller Text. :-) das ist gerade total mein Thema, bzw. taucht immer mal wieder als mein Thema auf. Und ja, ich glaube auch, dass man lernen kann, Grenzen wahrzunehmen und aufzuzeigen.
Tina U. says
Schreibst du über echte Begebenheiten und Menschen?
Marie Luise Ritter says
Mal so, mal so, ja und nein – es sind oft Themen, die ich erlebt habe, ich überspitze allerdings oft oder verändere Details, wie hier wenn ich keine Namen nenne, denn letztlich geht es ja um die Message an sich. Auch in meinen Büchern habe ich Eigenschaften von verschiedenen realen Personen manchmal zu einer Figur zusammengefasst, daher kann man eh nichts 1:1 auf mein echtes Leben übertragen. Davon abgesehen spreche ich aber alles, was ich so beschreibe (oder durchdenke) mit meinen Freund*innen durch, hole mir Rat und Feedback, also alles ist auch immer abgeklärt. :)
Janina says
❤️
Ute says
Ich kann mich sehr in diesem Text und in deiner Freundin wiederfinden. Danke auch für deine Bücher Luise, ich freue mich schon sehr auf das Nächste!
Svenja says
Ausrufezeichen!
Dem ist nichts hinzuzufügen außer, danke ❤️
Nadine says
Gerade jetzt wo das Thema Dating bei mir so aktuell ist gut zu lesen. Ich habe letztens bei einem Mann nach einem Treffen die grenze gezogen und mich total freundlich verabschiedet und erklärt kein weiteres treffen mehr zu wollen. Dieser hat dann komplett mit vorwürfen reagiert und jetzt muss ich mich richtig überwinden schon wieder jemandem sagen zu müssen das es hald eben nicht gevibet hat…
Ist schreiben und erste treffen nicht genau dafür da? Um zu sehen wie es ist und um zu fühlen und nein zu sagen bevor man tief drin ist. Ist es nicht Fair von mir eine Grenze zu ziehen sobald ich eine Spüre, muss ich mir dann zum Vorwurf machen lassen das ich dem keine “Chance” gebe?
Marie Luise Ritter says
Klar ist es das, also ok – nicht jeder kann mit Ablehnung gleich gut umgehen, hat nichts mit dir zu tun. <3