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Es ist heiß hier, dabei ist es längst dunkel. Ich stehe an der Bar, spüre den Beat in meinem Bauch und warte auf meine Cola. Der Club ist offen, ich kann die Sterne über mir sehen, vor mir liegt der Strand, dann das dunkle Meer. Ein wunderbarer Moment, der nicht schöner sein könnte. Als der Barkeeper mir mit einem verschmitzten Lächeln meinen Drink und einen Strohhalm in die Hand drückt und ich irgendwelche Kuna auf den Tresen lege, fühlt sich jemand bemüßigt sich in das hier einzumischen. Er ist groß, breit gebaut und normalerweise hätte ich ihn attraktiv gefunden, wäre er nicht wahrscheinlich 19 Jahre und definitiv sturzbetrunken. “Ne Cola? Im Ernst?” Er lacht. “Soll ich dir mal was richtiges ausgeben, damit du mal locker wirst, Süße?“ Ich verdrehe die Augen aber ignoriere ihn, drehe mich um und will zurück auf die Tanzfläche. Solche Konversationen lasse ich gerne unausgefochten. Verschwendete Worte. Scheinbar nicht für ihn – denn ich merke einen Hand an meinem Arm. “Sorry, für den Spruch …”, er klingt zerknirscht und völlig ernst “aber du bist doch wohl nicht nach Kroatien gekommen, um Cola zu trinken? Darf ich dich auf einen Drink einladen, schöne Frau?” Er sieht gut aus, und ich wette, dass er mit diesem entschuldigenden Blick sonst keine Probleme hat, seinen Willen zu bekommen – aber in diesem Moment stößt er bei mir auf Granit. Über Alkohol – diskutiere ich nicht. “Sorry, ich bin leider einfach zu langweilig …” ahme ich ihn nach und lasse ihn ein zweites Mal Stehen.
Ortswechsel: Büro. Seit ich hier begonnen habe zu arbeiten, sitze ich auf einem Platz, von dem aus ich die Tür im Rücken habe – was mich ungemein stresst. Vor allem auch seinetwegen: Ein Kollege, kaum älter als ich, am Schreibtisch neben mir sitzend und scheinbar ein großer Fan von Körperkontakt. Üargs. Schon seit Wochen zermarterte ich mir den Kopf, ob ich auf dem letzten Betriebsausflug irgendwelche Signale gesendet hatte, die ihn eine mögliche Freundschaft oder sogar mehr vermuten ließen. Ständig unterbrach er mich beim Tippen, um mir lustige Kundenanfragen vorzulesen, klopfte mir auf die Schulter, kniff mich in die Wange und streifte immer öfter, immer wieder zufällig meinen Arm. Fast schon zärtlich. Wie eine ungewollte Massage. Mich schauderte es jedes Mal. Mein Verhalten hätte nicht abweisender sein können:
„Ey, warum kneifst du mich.“
„Lass das.“
„Lass das bitte. Echt jetzt.“
„EY!“
„Könntest du aufhören, mich anzufassen?“ Aber er nahm mich nicht ernst.
Bis ich eines Tages vor allen anderen explodierte und den Platz wechselte:
„Sag mal, schnallst du es nicht? Du hast mich nicht anzufassen! Weder ständig zufällig meinen Arm zu streifen noch mir in die Wange zu kneifen. Ich will nichts von dir, und wir sind auch keine Kumpels. Das hier ist mein Job, den ich gerne ausführen würde. Ohne Ablenkung. Lass mich in Ruhe und hör auf mich immer zufällig anzufassen!“
Ortswechsel, eine Bar in Winterhude. Eigentlich hatte ich geplant, den Abend am Schreibtisch zu verbringen – aber er war so charming, dass ich nicht anders konnte, als seinem hartnäckigen Bestehen auf ein Treffen zuzustimmen. Schlagfertig, groß, kurze Haare, die sich leicht kräuselten, ein verschmitztes Gesicht und komplett mein Typ. Ich hatte ihn zufällig kennengelernt, aber dann vergessen, er mich online wiedergefunden. Wir unterhalten uns gut, er bringt mich zum Lachen. Es passt. Wir ziehen weiter, testen Cocktails – er immer einen mit Alkohol, den ich aussuche, ich jeweils einen ohne, den er wählt – bis wir zwei Uhr nachts aus der vierten Bar rausgeschmissen werden. Weil es ein Mittwoch ist. Er bietet mir an, mich nach Hause zu bringen, und ich nehme gerne an. Nicht, weil es hier so gefährlich ist, sondern einfach, weil ich seine Gesellschaft gerade schätze. Als wir an meiner Haustür ankommen, merke ich, dass er gerne mit nach oben gekommen wäre, dass das hier für ihn auch mehr sein könnte. Aber für mich nicht. Es war nett – aber trotzdem ist mir nicht danach, ihn mit rein zu bitten. Also verabschiede ich mich. Er lässt sich nichts anmerken, akzeptiert, drückt mir einen Kuss auf die Wange, bedankt sich für den netten Abend und schlendert mit den Händen in den Hosentaschen langsam davon …
Ich bin stolz, heute dieser Mensch hier zu sein. Diese Frau hier. Die, die nur datet wenn sie Lust drauf hat, die gerne auch mal absagt, weil sie sich mit sich selbst wohler fühlt. Die Kontra gibt, statt sich von Sprüchen einlullen zu lassen, die nicht mehr aus Versehen in unangenehme Situationen hineinrutscht. Die, die bevor sie mit jemandem mitgeht, fragt – will ich das hier gerade überhaupt?
Dass das hier nicht immer so war, ist klar. Die Zeit, in der ich lernte, wie viel ich selbst mir wert bin, ist vier Jahre her. Luise, 20 Jahre alt, völlig auf sich allein gestellt. Es war den ganzen Tag dunkel, dort, in Karlstad, Schweden. Ich lernte, dass es okay ist, traurig zu sein. Dass es okay ist, sich alleine, ohne Familie und in vollkommener Dunkelheit, unwohl zu fühlen. Meinen Gefühlen, Ängsten und Sehnsüchten zu vertrauen. Mir nichts einreden zu lassen was ich bräuchte, sollen, wollen oder fühlen müsste. Erst eine Weile später wurde mir klar, wie wichtig diese dunkle Zeit in Schweden für meine Entwicklung war, weswegen ich mir ein Jahr später schwedisch „livet“ aufs Handgelenk stechen ließ. Dieses Tattoo – bedeutet für mich Leben in Freiheit und Selbstbestimmung. Es war wie ein Versprechen an mich selbst. Meine Zeit nicht mehr zu vergeuden. An die falschen Männer, Nächte und Entscheidungen. Ein Versprechen an mich selbst, mutiger zu sein. Jedes der 312 mal, die ich mein Tattoo am Handgelenk täglich im Augenwinkel wahrnehme, huscht mir ein Lächeln übers Gesicht. Leben in Freiheit und Selbstbestimmung, ein Versprechen an mich selbst. Heute fühle mich alleine und in Dunkelheit unfassbar wohl.
Die letzten vier Jahre seit Schweden, waren eine aufregende Reise. Ich habe gelernt, dass es Fehlentscheidungen nicht nur bei Klamotten, sondern auch bei Männern geben kann. Dass es okay ist, etwas nicht zu wollen und das auch zu sagen. Dass es besser ist, die Reißleine zu ziehen, als irgendetwas über sich ergehen zu lassen, was man später vielleicht bereut. Dass man seinem Bauchgefühl meistens vertrauen sollte. Dass es richtig ist, ja zu sagen wenn man etwas will und nein, wenn man sich nicht sicher ist. Dass jemand, der hinterfragt statt unterstützt, kritisiert statt hilft, hindert statt meistert, nichts Positives zu deinem Leben beizutragen hat.
Ich lernte, Nein zu sagen und mein Ding durchzuziehen. Eine wichtige Lektion im Job – und als Single. Wow, das war alles neu für mich.
Nein, nur weil ich dich auf Tinder matche, heißt das nicht, dass ich etwas von dir will.
Nein, nur weil ich eine kurze Shorts trage, heißt das nicht, dass ich berührt werden möchte.
Nein, nur weil du etwas möchtest, heißt das nicht, dass ich das auch will.
Und wenn doch mal etwas passiert, das nicht geplant, nicht gewollt war – dann weiß ich, wie ich mich wehren kann. Weiß mir zu helfen. Weiß, was zu tun ist. Weiß: Alles, nur, wenn ich es will.
In freundlicher Unterstützung von Cohn & Wolfe im Rahmen einer Kampagne für die Pille danach
Claudia says
Grossartig,
Du zeigst wir wir zu uns stehen können,
als Frau ist das nicht immer leicht.
Danke
Claudia
Alina says
Ein sehr starker Text, der ein wichtiges Thema aufgreift.
Ich stelle immer wieder fest, wie viele Männer das weibliche Geschlecht einfach nicht ernst nehmen. Wenn wir sagen, dass wir etwas nicht möchten, dann gilt es das zu respektieren! Wir sind keine Puppen.
Danke für diesen Text Luise!
Bleib so stark und selbstbewusst wie du bist. :)
Liebe Grüße
Alina
http://www.xxiv-diaries.de
Melanie says
Super Text! Früher dachte ich auch mal, wenn ich zu hart “nein” sage, wäre das unhöflich und nicht richtig. Inzwischen weiß ich, dass es manchmal notwendig ist, auch mal ein “arschloch” zu sein, um den eigenen Willen und Wunsch zu bekräftigen.
Nyra says
Liebe Luise,
mich hat der Text sehr mitgenommen.
Du bist eine sehr selbstbewusste Frau, wie auch ich es jetzt bin. Das macht mich stolz. Auf dich, auf mich, auf jeden, der seinen Willen und seine Grenzen klar vertreten kann.
Danke für den Beitrag.
Luise says
Ich finde in diesem Artikel hast du dich noch einmal selbst übertroffen. So wunderbar geschrieben. Und irgendwie genau das, was ich gerade gebraucht hab.
Danke!
ako_vom_deich says
“Dass jemand, der hinterfragt statt unterstützt, kritisiert statt hilft, hindert statt meistert, nichts Positives zu deinem Leben beizutragen hat.” – Ein unfassbar starker Satz in einem tollen Post! <3
Sabrina says
Was ein guter Text!
Musste gerade alle deine Beiträge durchgehen, die ich verpasst hatte.
Ich bin begeistert und nach wie vor ein Luise-Fan <3
Jasmin says
Luise, ich kann es nicht oft genug sagen!
Du strahlst deine Zufriedenheit mit dir selbst einfach so unendlich aus. Du kannst so stolz auf dich sein! Es gibt wenige so junge hübsche Frauen die komplett Zufrieden mit sich und ihrem Leben sind.
Herzliche Grüße,
Jasmin
Karo says
Hallo Luise,
Ich finde es so inspirierend, wie du dein Leben selbst in der Hand hast! Dieser Post zeigt mal wieder, wie zufrieden du mit dir selbst bist, und genau das kommt bei mir an und motiviert mich. Danke, du immer so viel positive Lebensfreude verbreitest :) LG Karo
Thomas says
Hallo Luise,
sehr guter Text. Ich finde es erschreckend, dass solche Vorfälle im Jahr 2016 in zig Büros in Deutschland noch täglich geschehen. Deine Reaktion, ihn vor versammelter Mannschaft zurechtzuweisen, war absolut richtig, aber erfordert Mut. Mut, den auch Deine Vorgesetzten beweisen hätten können, in dem sie den MA abmahnen. Aus meiner Sicht sollte der Vorgesetzte sogar aus eigenem Interesse vorgehen (bin selber Vorgesetzter), damit einem das nicht als Dulden von sexueller Belästigung ausgelegt wird. Aber das ist ein anderes Thema…
Ich muss zugeben, dass ich aber selbst vor ca. 20 Jahren ein Nein nicht akzeptiert habe, was das Vertrauensverhältnis zu einem mir wirklich nahe stehenden Menschen nachhaltig zerstört hat. Das war sehr bitter, aber zumindest habe ich daraus gelernt. “No means No” oder in deinen Worten “Nur wenn ich es will”
LG
Thomas
P.S.: Konsequenter Weise sollte es heißen “nur wenn ich es auch will”
ANNE says
Liebe Luise, du kannst so unfassbar stolz auf dich sein! Sich und seine Bedürfnisse wahrnehmen, wertschätzen und letztlich gegenüber anderen durchsetzen können ist ein langer Prozess, den ich gerade noch gehe. Sich selbst wert genug sein- eine wunderbare Botschaft. Danke für deinen Mut, dass es machbar und vor allem richtig ist. Wir sind es wert! Liebe Grüße Anne
Clara says
“Dass jemand, der hinterfragt statt unterstützt, kritisiert statt hilft, hindert statt meistert, nichts Positives zu deinem Leben beizutragen hat.”
Luise, ich glaube, diesen Satz werde ich mir ausdrucken und jeden Tag durchlesen. Du bist eine so starke inspirierende Person und ich wünsche mir, dass ich irgendwann in der selben Selbstbestimmtheit und Zufriedenheit ankommen kann wie du. Danke.
Sabrina says
Hallo, danke für diesen inspirierenden Text und den sich immer wiederholenden Worten, die sich wahrscheinlich jetzt bei jedem von deinen Lesern eingebrannt haben, danke dafür :D Ich finde es schön, dass du deine Lektion mit uns teilst und sehr wichtig diese Einstellung an alle Frauen weiterzugeben. Frauen werden durch die Gesellschaft viel zu oft unter Druck gesetzt und als Objekte dargestellt, was wirklich traurig ist, weil wir so viel mehr zu bieten haben. Liebe Grüße!