Er tippt. “Woher kommst du ursprünglich?” Erscheint dann. Ich antworte: Aus der Nähe von Leipzig, kleines Dorf. Er tippt wieder. Und dann: “Nein ich meine ursprünglich, woher kommen deine Eltern?”
Es dauert, bis bei mir der Groschen fällt, dass er nach meinem Migrationshintergrund fragt. Ein paar Monate Dating später, wurde ich genau das schon öfter so gefragt.
Ich bin mit einer großen und höckerigen Nase geboren, ich bin sehr groß, bin sehr blass, werde aber braun, ich habe volle Lippen, einen großen Mund, dunkle und sehr viele Haare und eine wilde Haarstruktur. Wenn man mich zum ersten Mal sieht, könnte ich wahrscheinlich alles sein. Türkisch, griechisch, iranisch, polnisch, ungarisch, spanisch, italienisch. Oder deutsch. Und als ich alleine durch Portugal oder Schottland gereist bin, wurde ich auch in diesen beiden völlig unterschiedlichen Ländern für eine Einheimische gehalten. Ich – könnte alles sein.
Als Deutscher bekommt man bei der Vorgeschichte unseres Landes keinen Patriotismus mit in die Wiege gelegt, man klemmt sich keine Fahne in den Vorgarten oder schreit: Deutschland ist das großartigste Land der Welt! – wie es in den USA schon definitiv eher der Fall ist. Ich persönlich finde das gut so. Ich habe das Land, in das ich geboren wurde, dadurch immer als Zufall betrachtet, meine Nationalität damit als zufällig und nicht über das Ausfüllen von Fragebögen auf dem Amt hinaus bemerkenswert.
Meine Eltern und Großeltern sind hier in diesem Land geboren, die Generationen davor auch. Irgendwer kam aus Tschechien, irgendwer aus Schlesien. Mein Nachname und die in der Historie davor, Prinz, König, Vogel, Schmidt, alle sehr “deutsch”. Woher die Vorfahren davor stammen weiß ich nicht. Ich habe mich noch nie damit beschäftigt. Auch nicht damit, ob ich mich als Deutsche sehe. Ja, deutsch ist meine Muttersprache. Aber: Ich persönlich sehe mich als Europäerin. Ich fühle mich weder als Deutsche, noch als “Ossi”, noch als Hamburgerin – dafür bin ich zu oft umgezogen und kann mich zu schnell an neue Städte anpassen und gewöhnen. Schonmal habe ich darüber geschrieben, dass sich für mich kein bestimmer Ort nach Heimat anfühlt. Ich bin in der Welt Zuhause. Ich – könnte alles sein. Und überall wohnen. Ich bin innerhalb von zwei Stunden in Dänemark, mit dem Flieger in vier in Marokko. Auch diese beiden Länder könnten meine Heimat sein. Karlstad in Schweden war es mal. Und vielleicht ziehe ich irgendwann mal hin.
Ich habe vor ein paar Monaten mal ein Kit für einen DNA-Test zugeschickt bekommen. Ein Test, bei dem man rausfinden kann, wie sich die eigene DNA zusammensetzt und damit auch, woher die eigenen Urahnen stammen. Eigentlich eine super Sache. Kennt man aus diesem viral gegangenen Video. Bei dem kriege ich Gänsehaut, trotz dass es sehr gescriptet ist. Weil es Menschen, die ihre Herkunft ein bisschen zu wichtig nehmen, ganz viel Toleranz beibringt. Seit ein paar Monaten liegt das Kit unbenutzt in meinem Bücherregal. Unbenutzt, weil ich weiß, dass ich alles sein könnte, mich als alles sehe. Vielleicht mache ich ihn irgendwann nochmal. Vielleicht weiß ich danach, dass ich zu 26% türkisch bin. Aber es würde nichts ändern.
Rassismus entsteht aus Angst. Angst vor dem Unbekannten, davor, dass einem etwas von dem weggenommen wird, was man als sicher wähnt. Lebensgefühl, Lebensqualität, Geld, Frauen, Jobs. Grenzen, die im Kopf entstehen. Rassismus entsteht aus fehlender Bildung, fehlender Zugehörigkeit, Perspektive und finanzieller Zufriedenheit und dem Gefühl, gehört und gebraucht zu werden. Deswegen ist es an uns, diese Grenzen abzutragen. Auch die in den Köpfen der Menschen um uns herum. Liebe statt Hass.
Denn: Warum sollte ich mich einem Menschen meines Landes nah fühlen, aber vor dem Menschen eines anderen Landes eine Grenze ziehen? Warum sollte ich meine Herkunft so für mich beanspruchen sie als elitär rauszustellen? Was für ein Glück können wir haben, in diesem Land geboren zu sein, dass uns ein gutes Leben ermöglicht, dass ein soziales Auffangnetz und ein Gesundheitssystem hat, dass seit 1945 keinen Krieg mehr kennt. Ein Land, aus dem wir nicht vertrieben werden oder flüchten müssen. Die Herkunft “deutsch” bringt so viele Privilegien mit sich. Es ist eine Frage von emotionaler Intelligenz, dieses anzuerkennen als großes Glück – und als Zufall. Denn das ist er. Es ist ein Zufall, dass wir hier geboren wurden. Sicher sein dürfen. Und falls es irgendwann mal der Fall sein wird, dass wir in Deutschland nicht mehr sicher sind, dass wir flüchten müssen – dann hoffe ich, dass andere Länder dieser Welt bereit sind, uns mit offenen Armen aufzunehmen.
Inspiriert von der Seebrücke-Demo heute in Hamburg, der Wir sind mehr-Aktion morgen Abend in Chemnitz und Dianas Beitrag “Identität“.
Magda says
Hallo Luise, ich finde den Beitrag super! Ja, du hast recht Rassismus entsteht aus Angst, da gebe ich dir recht, aber was ich mich frage, ist: Was ist, wenn man Angst hat an bestimmten Ort in der Stadt sich aufzuhalten, weil man weiß, dass dirt zwei Mal im Monat mindestens eine Person erstochen wird, weil ein Streit wegen materialistischen Dingen oder Persönlichen Aspekten eskaliert? – Und nein, es ist kein Rassismus, ich frage mich einfach, warum diese Angst auftretet.
Vor drei Jahren war ich mindestens alle zwei Wochen an diesem Ort, denn dort ist ein Club (der einzige mit guter Musik in meiner Stadt). Mittlerweile gehe ich dort nicht mehr feiern, mit der Angst, dass etwas passieren kann; sei es bedroht zu werden oder im schlimmsten Falle ausgeraubt zu werden, denn dann würde ich gar nicht nach Hause kommen.
Ich habe während meiner Schulzeit die Möglichkeit gehabt mit dem Anne Frank Institut zusammen zuarbeiten und habe mich somit mit dem 2. WK so gut es ging auseinander gesetzt. Ich selbst habe Eltern, die aus Schlesien kommen und ich bin nicht fremdenfeindlich, denn ich habe auch nicht wirklich einen Ort / Herkunft wo ich wirklich hingehöre. In “Deutschland” bin ich sowieso Polin, auch, wenn ich in Deutschland geboren wurde und ich Polen bin ich sowieso Deutsche, auch, wenn ich schon für ein paar Monate dort gelebt habe.
Ich finde es einfach schade, dass wir Menschen weiterhin in Schubladen denken. Wir sollten die Person als sich sehen, mit ihrem Mut, Ehrgeiz und Willen!
Ich hoffe, dass du mir meinen Kommentar nicht übel nimmst. Aber das ist meine Angst, die wahrscheinlich immer in mir schlummern wird.
Liebe Grüße, Magda
Marie Luise Ritter says
“Nein, ich werde euch nicht das Geschenk machen, euch zu hassen. Auch wenn ihr euch sehr darum bemüht habt; auf den Hass mit Wut zu antworten würde bedeuten, derselben Ignoranz nachzugeben, die euch zu dem gemacht hat, was ihr seid. Ihr wollt, dass ich Angst habe, dass ich meine Mitbürger mit misstrauischem Blick betrachte, dass ich meine Freiheit der Sicherheit opfere. Verloren. Der Spieler ist noch im Spiel.” Antoine Leiris in “Meinen Hass bekommt ihr nicht” Und deine Angst sollten sie auch nicht bekommen. Das wäre das falsche Zeichen.
Katharina says
Mir ist schon einmal das gleich passiert, wie das, was du am Anfang erwähnst – nur im Gegenteil. Als ich in London gelebt habe und in einem Geschäft mit einer Mitarbeiterin geredet habe, ist ihr beim Notieren meines Namens aufgefallen, dass es ein deutscher Name ist und wir haben daraufhin auf Deutsch kurz geredet – wie lange wir jeweils in der Stadt wohnen, was wir vermissen.
Kurz bevor ich fertig war, habe ich sie gefragt, woher sie ursprünglich kam – einfach, weil ihr Deutsch genau so dialektfrei war, wie ich es aus meiner niedersächsischen Heimat kannte. Ihre Antwort war “Von väterlicher Seite aus Ghana.” – Und irgendwie hat es mich in dem Moment so schockiert, dass vermutlich genau das die Antwort wäre, die die meisten Leute, die sie danach gefragt hatten, hören wollten. Die Antwort, die ich dann auf Klärung meiner Frage bekommen habe, war “Osnabrück”.
Aber das hat mir klar gemacht, wie wenig ich mich in die Haut derjenigen hineinversetzen kann, denen wegen vermeintlichen “Anders-Seins” begegnet wird – wenn eine Frage von mir formuliert und von ihr anders verstanden wurde, weil ich nie über diese Intention der Frage jemals nachgedacht hatte.
Luisa says
Ein sehr toller und wichtiger Beitrag!
Danke dafür ❤
Lena says
Hallo Luise,
ich kann es irgendwie nicht verstehen, was daran schlimm sein sollte, wenn jemand nach der Herkunft fragt. Ich habe selber einen Migrationshintergrund und frage auch gerne andere Menschen danach, weil ich es schlicht spannend finde, wo jemand ursprünglich herkommt. Auch beim Dating ist es einer meiner ersten Fragen. Natürlich sagt es nichts aus über einen Menschen aber dennoch gehört es eben dazu. Ich finde es auch gar nicht verwerflich, wenn andere Länder, wie USA und Russland Patriotismus zeigen und ehrlich gesagt, vermisse ich das in Deutschland. Etwas mehr Stolz auf das eigene Land schadet nicht, es bedeutet ja nicht, dass man dann andere Länder nicht wertschätzt.
Marie Luise Ritter says
Das war ein (getipptes) Gespräch auf Tinder. Wenn mir die Frage gestellt wird, dann ungefähr nach zweieinhalb gewechselten Sätzen. Das war kein Gespräch unter guten Freunden oder Bekannten bei einem Bier, sondern eine Chat-Unterhaltung … die oft ja einen Hintergrund oder Ursprung hat, wie zB mir aufgrund meiner dunklen Haare zu attestieren, nicht deutsch zu sein.
Ja, ich finde es derbe merkwürdig, das gefragt zu werden, weil ich keinen Migrationshintergrund habe. Und auch bei anderen keinen vermute oder attestiere – außer ich unterhalte mich persönlich und mir fällt ein Sprachfehler, Akzent, whatever auf. Warum sollte ich eine Wildfremde Person, die ich nicht kenne, noch nie gesehen oder reden gehört habe, nach ihrem Migrationshintergrund fragen?
Ich habe dazu heute in meiner Insta Story einen Literaturtipp einer Leserin geteilt – man nennt dieses Gespräch Herkunftsdialog – man spricht Menschen, die anders aussehen ab, “wirklich” aus Deutschland zu stammen. Broden/Mercheril von 2007.
Und ich persönlich bin froh, dass Deutschland nicht den USA-typischen Patriotismus lebt, weil das eher voneinander abgrenzt, als international einander näher zu bringen. Und überhaupt, wie im Text geschrieben, dass ich deutsch bin, ist Zufall. Warum sollte ich aufs deutsch sein besonders “stolz” sein? Aber da können wir ja unterschiedlicher Meinung sein. :)
Lena says
Klar ich kann es nachvollziehen, wenn es für dich merkwürdig ist.
Für mich gehört es aber auch zu meiner Familiengeschichte dazu. Deshalb ist es bei mir und bei vielen anderen kein Zufall wo man geboren ist. Es basiert auf die Geschehnisse im zweiten Weltkrieg. Ich habe deutsche und ukrainische Wurzeln und wenn ich darüber nachdenke, wie es meinen Großeltern damals erging – bin stolz auf sie, dass sie trotz Deportationen, etc. überlebt haben und deshalb kann mir meine Herkunft nicht egal sein. Ich finde, das sollte schon berücksichtigt werden, dass da einiges dahinter stecken kann :-)
Alicia says
Richtig guter Beitrag! Ich sehe das ganz genauso :)