Ich war diese Woche Montag und Freitag bei Wer wird Millionär im Fernsehen zu sehen, zwei Folgen Zockerspecial, habe es nicht in die Mitte geschafft, aber hatte dort trotzdem zwei sehr grandiose Tage. Deswegen erzähle ich euch mal die kleinen Geschichten hinter diesen zwei Tagen:
Im September kommt der Anruf. Hallo schönen guten Tag, Wer wird Millionär hier, wir stellen Ihnen jetzt fünf Fragen, Frau Ritter, sind Sie bereit? Ich stehe an der Kasse vom Edeka unter meiner Wohnung und versuche Nudeln, Kirchererbsen und Pastasauce wie ein aufgestapeltes Türmchen zwischen Unterarm und Kinn zu transportieren, das Handy irgendwo dazwischen ans Ohr geklemmt. Bin sowas von gar nicht bereit. Stammele ja. Das Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt und die Kichererbsen zwischen Kinn und Brustkorb, haste ich zu meiner Wohnung, während ich der netten Stimme am Telefon mit gespielter Leichtigkeit den aktuellen deutschen Bundespräsidenten nenne.
Bin trotzdem irgendwie in der zweiten Runde und dann irgendwann in der dritten. Dann kommt der Anruf, dass ich fest in der Sendung dabei sein darf, irgendwann in den nächsten Monaten. Kann das nicht so richtig glauben. Tue ich deswegen auch nicht. Dann der Anruf, dass ich nächste Woche dabei sein darf, ob ich Zeit habe, nächsten Mittwoch. Klar! Buche Züge nach Köln. Habe sieben Tage, um mich irgendwie vorzubereiten und versuche mein Wissen in Politik, Sport und aktuellem Tagesgeschehen aufzupolieren. Und meine Reaktionsfähigkeit. Die eigentliche Hürde ist doch die Auswahlfrage. Ich bin so langsam, das merke ich immer wieder. Vor allem beim Autofahren. Einfach nicht gut im Reagieren. Rechne mir also keine Chancen aus, aber es klingt nach einer witzigen Aktion. Also lese ich Sportnachrichten und höre Politik-Podcasts und blättere ein Buch mit unnützen Fakten immer wieder durch. Dann ist Mittwoch. Bringe den Hund weg und steige in den ICE nach Köln. Ich wollte meinen Papa als Begleitperson mitnehmen, der kann so spontan nicht. Mama auch nicht. Also kommt Diana mit. Sie fühlt diese Sendung genauso sehr wie ich, ihre Begeisterungsfähigkeit für die Aktion brauche ich, generell fürs Leben und an diesem Tag. Es ist Mitte Dezember, als wir uns am Hauptbahnhof in Köln mittags um 12 in die Arme fallen.
Die folgenden Stunden verschwimmen. Wir finden den Weg zum Studio, weisen uns aus, ich treffe auf die anderen Kandidaten und Begleitpersonen. Alle beäugen sich kritisch, wir sind ja Konkurrenten, irgendwie. Trotzdem lockert sich die Stimmung, es gibt Catering und eine Studio Einweisung, wir unterhalten uns großartig, so viele tolle Menschen, dann wieder, alles verschwimmt.
Ich sitze auf Platz 9, also der vorletzte Stuhl, der vorgestellt wird, 8 wäre besser gewesen weil Glückszahl, gucke bei meinem Satz, als wir dann aufzeichnen, brav in Kamera zwei und mache mich bereit für die Auswahlfrage. Dafür rücke ich noch ein bisschen näher an den wirklich alten Bildschirm vor mir ran. Die Frage erscheint zuerst, die Auswahlmöglichkeiten erscheinen erst, wenn Jauch die Frage vorgelesen hat. Dazwischen sind vielleicht so zweieinhalb Sekunden, während Jauch redet und die Frage dort ganz allein steht, und ich im Kopf schon an den Antworten bastele. Das ist der Moment, wo mein Herz mir bis zum Hals schlägt, der Moment, der alles entscheidet, und ich würde sagen, der Moment, wo mein Adrenalin und meine Aufregung an diesem Tag auf dem Höhepunkt ist. Die Frage erscheint. Ordnen Sie folgendes an einem Schiff in die richtige Reihenfolge – vorne, hinten, links, rechts. Ich weiß das, ich bin aus Hamburg, triumphiere ich innerlich. Schon bevor die Antworten erscheinen, weiß ich sie, und auch die Reihenfolge, in der ich sie drücken will, muss sie dann halt nur noch zusammensuchen, wenn sie dastehen. Bug, Heck, Backbord, Steuerbord. Das alles, all diese Überlegungen, kommen mir in Bruchteilen von Sekunden. Andere Kandidaten verrieten mir, ihre Taktik sei “Hauptsache schnell einloggen”, meine ist das nicht, ich will richtig sein.Die Antworten erscheinen, ich logge ein, prüfe eine Sekunde, ob alles richtig ist, und hämmere auf das “OK” oben rechts. Die vier Antworten tippen reicht nicht, man muss sie auch mit dem “Ok” Button bestätigen. 3,67 Sekunden. Viel schneller als in der Generalprobe vorher, als wir das Studio und die Bildschirme mit einer anderen Testfrage kurz kennenlernen durften. Ich weiß, dass ich richtig bin und auch, dass ich echt schnell war. Einen weiteren Bruchteil einer Sekunde bin ich triumphierend sicher, dass ich es in die Mitte schaffe.
Dann schiele ich rechts zu Ingo neben mir und ich weiß nicht wieso, aber in diesem Augenblick voll Adrenalin, wie ich seine gleiche Reihenfolge und seine Zeit, 3,21 Sekunden auf seinem Bildschirm sehe, explodiere ich vor Freude. Er murmelt geknickt “Ich habs falsch” und ich schreie ihm lautlos entgegen “nein man” und haue ihm gratulierend gegen die Schulter, dass er das Ding macht, dass niemand schneller als er gewesen sein wird, als Jauch nach der richtigen Reihenfolge der Antworten dann auch seinen Namen nennt. Keine Sekunde denke ich darüber nach, dass ich das auch hätte sein können, oder ärgere mich, dass ich nicht schnell genug war. Vielleicht im Nachhinein ein bisschen, als ich realisiere, dass es knapp für mich war. Aber da nicht. Ich habe mich in diesem Moment einfach nur für Ingo gefreut. Und ich glaube, für diese Reaktion, darüber, dass ich intuitiv in so einer Stresssituation so reagiere, bin ich nachträglich am Glücklichsten.
Tatsächlich ist in diesem Studio kein Gefühl für die Realität da, dass es eine Gameshow ist, in der es gerade um Geld geht. Ich kann das alles eh nicht realisieren, aber ich bin so voller Adrenalin und Glücksgefühlen, dass ich die folgende Stunde, in der Ingo bis 250.000 zockt und dann aussteigt, durchweg grinse. Ich habe lange nicht mehr so viel … gefühlt. So viel Aufregung, Adrenalin, Spaß. Allein dafür hat sich das hier gelohnt.
Nachts träume ich, dass ich mit Günther Jauch um Tipps zu einer sehr hohen Frage feilsche und ihn dafür mein nächstes Tattoo entscheiden lasse. In meinem Traum wählt er das Emoji mit dem fliegenden Geldschein. Nach dem Aufwachen komme ich wieder aus dem Lachen nicht mehr raus. Als ich Köln mit dem Zug verlasse, freue ich mich unfassbar auf die kommende Woche, es werden zwei Folgen Zockerspecial mit uns aufgezeichnet. Die 9 anderen Kandidaten, also alle außer Ingo, wieder sehen, wie ein kleines Klassentreffen fühlt sich das an.
In den sieben Tagen bis zur nächsten Sendung mache ich genauso weiter wie bisher – höre Podcasts mit Nachrichten, lese die Überschriften der Tagesschau Meldungen auf Facebook und klicke mich von Spiegel Online über Sportschau bis Promiflash. Außerdem lese ich das Buch vom letzten Millionär Gewinner Leon Windscheid. Über mehrere Monate hat er sich vorbereitet, mehrere Monate! (was?) und bis zu zehn Stunden am Tag. Wofür er die Zeit dafür genommen hat, ein halbes Jahr nur zu Pauken, für die winzige Möglichkeit dranzukommen? Wahrscheinlich hat er es richtig gemacht. Ich wollte nicht zu viel Zeit für etwas verschwenden, was ja doch nur eine Möglichkeit blieb nach allen Auswahlrunden, und dem Stechen mit den anderen Kandidaten in der Sendung, wollte realistisch rangehen. Erst als zwei Wochen vor der ersten Sendung meine Teilnahme wirklich feststand, beschäftigte ich mich mit aktuellem Zeitgeschehen.
7 Tage später, wieder auf dem Weg nach Köln. Ich will mich kurz darüber aufregen, dass man bei der Deutschen Bahn online immer noch nicht beim Reservieren angeben kann, dass der Sitzplatz in Fahrtrichtung sein soll. Und halte inne. Eigentlich, merke ich dann, wird mir gegen die Fahrtrichtung gar nicht schlecht. Eigentlich redet man sich so etwas auch zu einem sehr großem Teil ein. Gemütlich eigentlich, nicht zu wissen, was so kommt, und sich einfach zurücklehnen zu gucken und in die Vergangenheit zu blicken, irgendwie. Für meinen Sitzplatz gegen die Fahrtrichtung werde ich dann irgendwo hinter Berlin-Spandau mit dem schönsten Sonnenaufgang belohnt, den man durch eine dreckige Zugfensterscheibe so sehen könnte. Minutenlang verharre ich vom Hacken in meinen Laptop inne und starre einfach nur bewegungslos aus dem Fenster, direkt in den roten Feuerball rein.
Ein paar Stunden später in Köln-Hürth. Der leere Platz von Ingo und der von Michaela, Überhangkandidatin, werden aufgefüllt mit zwei neuen Teilnehmern. Wieder sind wir also zu zehnt, acht von uns waren schon letzte Woche da. Ich bequatsche mich in den Stunden vorher wieder ein bisschen mit den anderen, wieder reden wir über die Taktik, einfach irgendwas zu tippen, wild auf den Bildschirm zu hämmern. 4x3x2x1 rechne ich kurz durch, also 24 verschiedene Kombinationsmöglichkeiten gibt es. 1:24 also die Chance, die richtige Kombination zu erwischen. Ich bleibe bei meiner Taktik, es richtig haben wollen.
So kommt es dann auch: Erste Auswahlrunde Songtexte ihren Interpreten zuordnen, zweite Auswahlrunde Begrüßungsfloskeln ihren Sprachen, beides habe ich richtig, aber bin beide Male zu langsam. Bei der zweiten Show bin ich nicht so richtig in Form, habe nicht so ein gutes Gefühl wie das erste Mal, alles ist merkwürdig vertraut und dadurch weniger neu, weniger aufregend. Adrenalin schärft die Sinne, ich habe heute zu wenig davon und fühle mich schläfrig. Die zweite Show läuft auch für die neu ausgewählten Kandidaten nicht so gut – beide fallen sie von viel Geld auf 1.000 Euro zurück. Der erste stand bei 16.000 einfach auf dem Schlauch, der zweite, Benjamin aus der Schweiz, vertraute bei 125.000 einem Einzel-Publikumsjoker, der leider falsch lag. Zweites wäre mir auch passiert. Während der Show hat man kein Gefühl dafür, wann der Gong ertönt, ob noch eine Auswahlfrage kommt, weil man ja nie weiß, wie weit der Kandidat kommt. Auch wenn es kontraproduktiv für mein eigenes Drankommen ist, freue ich mich bei jeder Frage, die der Kandidat richtig hat, als Benjamin runterrasselt, bleibt allen im Studio gefühlt minutenlang der Mund offen stehen, er schafft es, sich am schnellsten wieder zu fangen und ich bewundere ihn, wie cool er bleibt. Geknickt verlassen wir alle nach dem Gong das Studio. Die erste Sendung war, vor allem durch die höheren Gewinne, definitiv fröhlicher. Ein bisschen Erholungspause und dann begreifen Diana und ich, dass wir in unserer beider Lieblingssendung einfach waren. Wie gut ist das?
Ich sehe das gar nicht als Scheitern, überhaupt diese ganzen Runden bis zur Sendung zu überstehen und dann in der Sendung auch alle Auswahlfragen (zu langsam) richtig zu haben, ist für mich ein schönes Erlebnis. War eh weniger wegen des Geldgewinnes da, das mir schon vorab absolut utopisch erschien, eher wegen der Sendung, wegen des Mitmachen, wegen Jauch. Schönes Erlebnis.
Carolin says
Ich habe gestern ganz zufällig Wer wird Millionär eingeschaltet und war richtig überrascht, dich dort zu sehen. Schade, dass du es nicht in die Mitte geschafft hast. Hatte dir die Daumen gedrückt. Nichtsdestotrotz klingt das nach einem tollen Erlebnis! :)
Marie Luise Ritter says
das war es auch! :)
Joliene says
Ich liebe deinen Schreibstil so ungemein. Als würdest du mir das grade vorlesen … irgendwie.
Schönes Erlebnis!
Rebecca says
Finde es so cool dass du mitgemacht! Und es so positiv siehst, obwohl du nicht auf den Stuhl gekommen bist:)
Was war denn dein Vorstellungssatz?:D
Karo says
Superschön geschrieben und wie wundervoll ist das Gefühl sich trotz Stresssituation für jemanden anderen so zu freuen :-)) Ich höre aktuell das Hörbuch “Das große Los: Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr”. Was hättest du wohl mit dem Gewinn gemacht?
Und – Köln-Hürth? Wirklich? :-D Als gebürtige Hürtherin erzähle ich dir gerne mit einem Augenzwinkern, dass Hürth knapp 60.000 Einwohner und 12 Stadtteile hat. Also: Hürth ist kein Stadtteil von Köln ;-)
Liebste Grüße
Miri says
Toll dass ihr dort wart! Das wäre auch noch so ein Traum von mir :) Vielleicht traue ich mich ja eines Tages. Ist zwar schade, dass du nicht weiter gekommen bist, aber das Erlebnis nimmt dir keiner mehr.
Alles Liebe, Miri
http://www.meetmiri.com
p.s ich lese gerade dein Buch ;)
Micha says
Ich glaube es ist wahnsinnig schwer unter Stress und der Aufregung im Fernsehen zu sein, schnell alle Antworten zu sortieren. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass ich komplett versagen würde. Schön dass du es der Konkurrenz so gönnen konntest. :)
Thomas says
Huch – “Sie waren” schon mal dabei – bei “Wer wird Millionär”? Interessant…