“Hallo Frau Ritter, der Zufallsgenerator hat Sie noch einmal gezogen, sind Sie wieder dabei?”
Ich lese die E-Mail und überlege. Wieder nach Hürth gondeln, und zwar einen witzigen Tag verbringen, aber es aus fehlender Schnelligkeit nicht in die Mitte schaffen? Ich war in einer Doppelsendung “Zockerspecial”, aufgezeichnet im Dezember 2018, schon in zwei Sendungen in Hürth, in denen ich in allen Fragen zu langsam war, deswegen zögere ich (Bericht: hier). Aber: Aller guten Dinge sind ja drei, und wenn es dann nicht sein sollte, ist das auch in Ordnung. Ein “letzter” Versuch Wer wird Millionär.
Wer wird Millionär ist seit Jahr(zehnt)en meine Lieblingssendung, weil ich ein Nerd bin, der Quizsituationen liebt (ich habe mich sogar aufs Mathe-Abi gefreut - was?!). Ich liebe es, Tests oder Fragebögen auszufüllen oder mein Allgemeinwissen unter Beweis zu stellen. Noch dazu hielt ich mich für besonnen und schlagfertig, also wie dafür gemacht. Einmal in der Sendung zu sein war schon deswegen immer einer meiner Träume, auch wenn ich es für sehr unwahrscheinlich hielt.
Zwischen der Zusage zur Sendung und der Aufzeichnung in Hürth bei Köln liegt nur eine Woche. Aber ich fühle mich gut vorbereitet und habe ein breites Allgemeinwissen. Tageszeitungen, Wissens-Podcast und Sachbücher, sowie die Quizduell-App sind eh im täglichen Gebrauch bei mir, in den letzten sieben Tagen bis zur Sendung beschäftige ich mich nonstop damit. Meine Spezialgebiete: Geschichte, Literatur, Zeitgeschehen, Politik, Musik, Promis & Lifestyle. Für alles andere habe ich Joker: Geografie, Filme, Sport, Fußball und Jugendkram in meinen Telefonjokern, meine Mama als Bio-Chemie-Lehrerin, und die drei Millionäre als Backup. Soweit der Plan.
An einem Dienstagmittag in Fürth angekommen müssen wir die Handys in dafür vorgesehene Schließfächer stecken und lassen die Produktionsleiterin eines der fünf mitgebrachten Outfits auswählen. Alle halten Abstand, es ist hinter den Kulissen nicht so ein herzliches Miteinander wie bei meinem letzten WWM-Besuch, jedes Duo aus Kandidat*in und Begleitperson kriegt einen eigenen Raum zugewiesen, den Mundschutz müssen wir aufbehalten. Statt wie letztes Mal in die Maske zu gehen, musste ich schon geschminkt und mit gemachten Haaren ankommen. Auch der Vorlauf ist heute kürzer, weil es kein Publikum und so auch kein langes Briefing mit Publikum vorher gibt, wir treffen erst kurz vor der Probe ein und bleiben nach der Probe auch direkt auf den Auswahlstühlen sitzen, die Aufzeichnung beginnt. (Probe bedeutet übrigens nur, dass man einmal vorher ins Studio darf, um auf dem Bildschirm das Tippen zu üben, und wie es ist, oben rechts den OK-Button noch drücken zu müssen. Man probt nicht die Sendung durch, oder dergleichen.)
Die Aufzeichnung
Normalerweise sitzen die Begleitpersonen im Studio mitten im Publikum alle in einer Reihe, und tauschen je nach Kandidatin*in nur die Plätze. Heute warten sie backstage, aus Corona-Abstandsgründen. Nach Probe und Plätze zuweisen (mit Mundschutz) dampfen die Begleitungen also wieder ab, wir dürfen erst als das Signal kommt, dass die Aufzeichnung anfängt, unseren Mundschutz abnehmen und ihn verstecken. Ich knülle meinen in meinen Stiefel.
Ich briefe meine Mama, bevor sie das Studio verlässt: Falls ich drankomme, dann direkt als erstes. Auf den Auswahlstühlen sitzt man in solch starker Dunkelheit, muss still sitzen und in die Mitte zugucken, da ist es wirklich schwer, über neunzig Minuten hinweg die Konzentration aufrecht zu erhalten — das weiß ich von den zwei Versuchen, bei denen ich nicht in die Mitte gekommen bin. Ich habe mein Glück schon bei zwei Zocker-Special versucht, wusste also, wie das ist, diese Zeit auf dem Auswahlstuhl zu verharren. Deswegen bin ich mir sicher, dass ich als erstes dran komme, oder eben gar nicht.
Ich bin entspannt und in Hochstimmung, als die Sendung beginnt und die Überhangkandidatin kurz darauf fertig gespielt hat, sie beginnt die Sendung bei 2.000 Euro und nur noch mit dem 50:50, dann steigt sie mit 8.000 aus. Die erste Auswahlfrage ist wie für mich gemacht: Ordnen Sie Modeschöpfer ihren Vornamen zu. Schon während Jauch die Frage vorliest, habe ich in meinem Kopf die richtigen Vornamen gefunden und die Reihenfolge entwickelt: Christian, Paco, Marc, Oscar. Als sie erscheinen, hämmere ich drauflos, kontrolliere kurz und drücke auf OK. Nach dem OK kann man nichts mehr ändern, der kleine Kontrollblick auf die eigene Reihenfolge ist unabdingbar. Ich bin mir sicher, dass ich richtig bin. Auf meinem Bildschirm: 2,36 Sekunden. Oha! Unter drei Sekunden komme ich selbst bei einfachen Fragen selten. Ich schiele rechts neben mir auf einen kleinen Bildschirm im Ausgang, auf dem die Namen erscheinen, grün leuchten, bis dann einer blinkt. Zwei leuchten grün, meiner ist dabei. Ich blinke nicht. Eine andere Frau ist mit 1,4 Sekunden viel schneller. Wie hat sie das gemacht? Als sie auf dem Stuhl sitzt und erzählt, dass sie geraten hat, 24 Möglichkeiten, nur zufällig richtig war, werde ich kurzzeitig richtig sauer. HÖMMA, HACKT ES? Haha. Aber dieses Gefühl hält nur kurz. Ich gönne es ihr, sie hatte mir Backstage erzählt wie viel sie für die Schnelligkeit am Anfang geübt hat, wochenlang quasi. Trotzdem bleibt das Gefühl, dass aus der Runde der sechs Leute, die wir waren, die Mode-Auswahlfrage “meine” war (und damit in dem Moment, dass meine Chance hiermit gelaufen ist).
Sie stockt bei Mizellenwasser und hängt bei der Frage, wer 10.000 Euro Entschädigung bekommt – Bundestagsabgeordnete, Kardinäle, Bundesligaschiedsrichter, Hochschulprofs. Ich habe davon gelesen, dass die Bundestagsabgeordenten wegen Corona auf eine neue Erhöhung auf ihre 10.000 verzichten wollen, und mir daraufhin amüsiert die Facebook-Kommentarspalten durchgelesen, in denen sich alle darüber aufregen, wieso “die” “so viel” bekämen (Ich liebe Facebook-Kommentarspalten. So viele gepöbelte Meinungen ohne Wissen, Empathie oder Anstand dahinter, so viele Couchhelden. Köstlich.) Als die Millionäre zu allen dreien tendieren, außer zu den Abgeordneten, versuche ich ihnen von meinem Platz 1 aus stumm und den Kopf schüttelnd zu zeigen, dass sie falsch sind (was okay ist, die sehen mich nicht, weil ich wie in so einem schwarzen Graben sitze), und drehe mich auch zu ihrer Begleitung um, die mich ebenso anguckt und den Kopf schüttelt. Millionäre & Kandidatin sind auf der falschen Spur, und sie fliegt runter auf 500. Geknickt verlässt sie das Studio. Die nächste Auswahlfrage will ich hochmotiviert angehen, da erscheint etwas mit Fußball. Ach komm, dann eben nicht, denke ich mir, logge was ein, ist falsch, lehne mich zurück. Das wars. Ich freunde mich damit an, dass es dann eben keine mittige Wer wird Millionär-Erfahrung für mich geben wird. Ich schließe mit dem Abend ab und überlege, wo in Hürth man etwas zum Abendessen bekommt. Als der Mann bei 32.000 Euro aussteigt und kein Gong ertönt, stutze ich. Oh, noch eine Frage?
Was mache ich eigentlich hier?!
RHI-NO-ZE-ROS. Fast schon entspannt tippe ich den Namen ein. Die Frage ist viel einfacher als die erste, trotzdem bin ich langsamer als am Anfang. Meine Konzentration ist schon runter. 2,94 Sekunden. Ach das reicht bestimmt nicht, sage ich noch zu Jauch. Alle Namen werden grün, meiner leuchtet. Oh. Was? Heiße ich so? Jetzt noch? Muss ich jetzt auf den Stuhl? Die ersten sechs Fragen kriege ich kaum mit, dann kommt eine, an der ich strauchele. Avengers. Nie einen der Filme gesehen. (Ich find Actionfilme auch immer so laut und unangenehm.) Meine Intuition sagt Loki, wär jetzt so der einzige Name, dem ich einem amerikanischen Film zutrauen würde. Aber plötzlich vertraue ich mir selbst nicht mehr. Wär mal was einen Antagonisten Gerhard zu nennen, oder nicht? In meinem Kopf schwimmt alles, ich suche fieberhaft nach einem Funken Wissen. Wir stehen erst bei 2.000 Euro. Das macht mein totales Blackout nicht besser. Ich überlege kurz, meinen Onkel anzurufen, er kennt Filme, aber kennt er die Avengers, so Action-Kram? Jauch drängt, deswegen rufe ich Ingo an. Ich habe einen kompletten Shutdown in meinem Kopf. In dem ist, so für diesen Notfall, gespeichert: Im Zweifel weiß Ingo alles. Ingo weiß es nicht, ich nehme trotzdem meine und seine Vermutung. Loki. Richtig, Puh.
Wenn ich eines in diesem Moment gemerkt und gelernt habe, dann, dass man alle Möglichkeiten für gleich wahrscheinlich hält. Plötzlich könnte alles möglich sein.
Ich bin ab da verunsichert. Es kommt mir völlig normal vor, bei Fragen nicht selbst nachzudenken, sondern einen Joker zurate zu ziehen, ich verballere für Vollmond vor Ostersonntag meinen Begleitungsjoker und vertraue bei Zahnseide nicht meiner ersten Intuition, sondern frage die Millionäre. Rückblickend zweifelte ich da wirklich (mindestens den restlichen Abend) an meiner geistigen Gesundheit. Mein Selbstbild von mir ist tougher und ich habe eine echt gute Verbindung zu meiner Intuition, weswegen ich nicht erwartet hätte, dass in mir so ein Häufchen Nervosität steckt. Wenn ich Zuhause auf dem Sofa gesessen hätte, oder in der App spielen würde, hätte ich alle drei Fragen, für die ich Joker nahm, mit ein bisschen überlegen, zumindest aber nach dem Aussschlussverfahren, gewusst und richtig angeklickt. Da nicht. Die 2k, 4k und 8k Frage sind leichte Fragen, durch die man sich durch Nachdenken durchzocken kann, auch wenn man keine Ahnung hat. Ich hätte mir Loki, Vollmond und Zahnseide denken können, weil alle drei anderen Varianten jeweils FUCKING KEINEN SINN gemacht haben.
Aber das ging auch anderen so: Die Aufnahmeleiterin erzählte nach der Sendung, dass sie bei der Vollmond-Antwort meiner Mama alle Begleitpersonen schon mobilisierte. Die warteten ja wie erwähnt backstage mit Mundschutz in einem Aufenthaltsraum und schauten die Sendung live über einen großen Screen. Die Aufnahmeleiterin recherchierte jede Frage nebenbei mit, und immer, wenn es den Anschein machte, dass der*die Kandidat*in sich falsch entscheiden oder aussteigen könnte, zum Beispiel als sich die Millionäre für alles andere, nur nicht die Bundestagsabgeordeneten aussprachen, liefen die Begleitpersonen im Gänsemarsch ins Studio, um bereit zu sein. Sobald die Auswahlfrage gelaufen war, wusste die Aufnahmeleiterin über Funk noch in der Sendung (eben nach drei Sekunden, nicht nach den vollen zwanzig), wer am schnellsten war, und schickte dann die betreffende Begleitperson auf den Platz und die anderen wieder hoch. Meine Mama lief also zwei Auswahlfragen umsonst ins Studio, und bei der dritten saß sie dann schon, bevor ich meinen Namen hörte, hinter mir auf dem Platz.
Die Sache mit der Nervosität
Rückblickend betrachtet fühlte sich der Moment in der Mitte an, als würde mein Kopf ein Motor sein, der nicht starten will, der stottert, um wieder auszugehen. Er wollte einfach nicht anspringen. In meinem Kopf war die Sendung aber auch schon vor meiner Teilnahme zu Ende. Man verliert vollkommen jedes Zeitgefühl (wenn man wie ich nicht daran denkt eine Uhr zu tragen), kann am Ende nicht mehr sagen, ob die zwei Stunden nicht längst rum sind. Ich war mir sicher, dass nach dem Mann vor mir der Gong kam, weil sich alles bis dahin bereits ewig angefühlt hatte. Die dritte Auswahlfrage überraschte mich, mein Drankommen noch viel mehr, alles lief wie im Film ab, nur hatte ich das Gefühl, als würde ich in diesem Film nicht mitspielen. Immerhin hatte ich zehn Jahre auf diesen Moment hingefiebert, und es war eine einmalige Chance. Dieser Druck hat mich gekillt. Ich kann Kritik und Häme ab, aber diesen Druck kann niemand beurteilen, der ihn nicht erlebt hat, auch nicht wenn man sich auf Twitter für den King der Schlagfertigkeit hält — aufm Sofa ist jeder Bundestrainer. ;)
Ich habe mich schon oft zu Hause über Kandidaten und ihr auf dem Schlauch stehen gewundert, heimlich geschmunzelt, oder dem Fernseher zugerufen, wie einfach etwas doch sei — jetzt weiß ich, was dahinter steckt, dass es da nicht um Wissen geht, sondern darum, unter Stress zu funktionieren. Manche rocken das richtig gut und haben ihre Intuition, ihr Denken, Schlagfertigkeit alles im Griff (wie Ronald Tenolte letztens, Chapeau!, den ich auch als meinen Millionär-Joker befragte). Ich … hatte das nicht. Und das ist okay. Ohne den Pitstop auf dem Stuhl in der Mitte hätte ich das nicht über mich gelernt, nicht reflektiert, wie ich in Stresssituationen handele. Es war ein Versuch, und ich habe bei diesem vor Aufregung weder mein breites Wissen noch Bestleistung abrufen können, damit alle Klischees bestätigt (oder es Menschen einfach gemacht, mich in diese zu stecken) und das hat mich geärgert, klar, aber ist nicht zu ändern. Und von dieser Selbstkritik mal abgesehen, hat es sehr, sehr viel Spaß gemacht.
Ich stehe bei 8.000, mit einem mickrigen, verbliebenen 50:50-Joker, und immer noch einem großen Blackout, als der Gong ertönt: Überhangkandidatin. Zumindest noch nicht runtergeflogen, puh …
Weiter: Nächste Woche!
Schreibe einen Kommentar