“Weißt du, ich habe noch nie jemanden gesehen, der im Schlaf so glücklich aussieht, wie du”, sagt er leise zu mir. Ich bin gerade aufgewacht und blinzele ihn an. Der Hund liegt fest umschlungen in meiner Armbeuge. Es ist acht Uhr morgens an einem Freitag.
“Was?”
“Du lächelst so vor dich hin im Schlaf. Immer wenn ich nachts kurz aufgewacht bin und dich angeguckt habe, hattest du ein Lächeln im Gesicht.”
“Wieso bist du nachts aufgewacht?” Ich wache nachts eigentlich nie auf. Mit dem warmen Hunde-Fellknäuel (als Wärmflasche), meinem absolut perfektem Kissen (selbst gekauft, Empfehlung: Snooze Project!) und Vorfreude auf den kommenden Tag schlafe ich sofort ein und wache erst wieder auf, wenn es draußen hell wird.
“Ich drehe mich nachts eben öfter mal um und sehe auf die Uhr. Aber du lagst immer gleich da. Und hast im Schlaf gelächelt. Als wäre die Welt einfach nur gut. Als hättest du nichts, worüber du dich sorgen müsstest. Das sieht total beruhigend aus.”
Ich finde die Vorstellung total schön. “Ich sorge mich ja auch um nichts”, sage ich dann noch.
Als ich mal durch Instagram scrollte, blieb ich (und ich weiß nicht mal mehr, bei wem) minutenlang an einer Metapher hängen (und das ist ja eher ungewöhnlich für dieses schnell konsumierte Medium), die sich seither in mir eingebrannt hat, weil ich sie so treffend schön (und auch ein wenig cheesy) finde. Ich muss immer wieder an sie denken:
Wenn man aufs Meer blickt, sieht man die ruhige Oberfläche, mit hier und da ein paar Wellen obendrauf. Was man nicht sieht: Die unglaubliche Tiefe, die sich darunter versteckt. Die wir uns nicht einmal vorstellen können. Ein Meer hat ein unglaubliches Volumen an Wasser. Nur: Wenn man drauf schaut, sieht man das nicht. Man sieht nur die Wellen.
Alles was wir sind, alles was wir können, alles was noch vor uns liegt, ist dieser Ozean. Wir haben diese unglaubliche innere Größe, die uns Stabilität gibt. Und dann passieren Höhen und Tiefen — das sind die Wellen. Aber die haben nichts mit unserem inneren Kern zu tun, den uns niemand wegnehmen kann, und der uns ausmacht. Die Größe, die wir mitbringen.
Jedes Erlebnis ist eine Welle, jede Herausforderung ist vielleicht eine sehr große Welle. Aber alles was mir passiert, wird diesen tiefen, zufriedenen Kern, den ich habe, nie zerstören können. Nichts, was meinen Weg kreuzt, kann dem etwas anhaben. Jeder Außenstehende kann auch nur über diese “Wellen”, also das was man sieht und mitbekommt, die eigene Außenwirkung, urteilen. Aber die tatsächliche Menge an Wasser ist so viel riesiger als die Wellen oben drauf. Du bist der Ozean. Nicht nur die Wellen. Wenn man das in so zwei Ebenen versteht, und sich seines Kerns bewusst ist, kann man viel gelassener mit den Herausforderungen des Lebens umgehen — finde ich.
Ich stehe super gerne morgens auf, weil ich mich auf
jeden neuen Tag meines Lebens von Herzen freue.
Wenn ich verreise, dann mit so wenig Gepäck wie möglich. Ich schaffe es, mit einer kleinen Handgepäck-Reisetasche alles zwischen drei Tage und drei Monate-Reise zu überstehen, inklusive Laptop. Eigentlich trage ich auch im Alltag immer die gleichen fünf Sachen, habe nur eine einzige schwarze Jeans, die ich trage. Ich mache mir nicht gerne Gedanken um unnötige Dinge, die auch so funktionieren. Vielleicht ist es die Einfachheit, die mir hilft, mich auf das, was für mich wirklich zählt, zu konzentrieren. Ein glückliches Leben sind nicht nur die Highlights, nicht nur die Reisen und Festivals. Das hat dieses Jahr mehr gezeigt, als jedes andere zuvor. Dieses Glück, und dieses innere Vertrauen muss trotzdem da sein. im Alltag.
Glück empfinden, ohne Grund. Ohne Belohnung, ohne etwas konkret in diesem Moment erreicht zu haben. Stolz sein, auf die kleinen unspektakulären Dinge. Sowieso: Unspektakuläres! Ich habe an den meisten Dingen in meinem Alltag unheimlich großen Spaß: Sei es Gardinenstangen anzubohren, mit dem Auto den Müll zum Recyclinghof zu fahren, beim Zahnarzt darauf zu warten, endlich dran zu sein, mit den Hund um den Block zu rennen oder mich in den Uni-Zoom-Call einzuwählen. Ich mache mir das alles grundsätzlich schön. Gute Musik an, einen heißen Tee in den To-Go-Becher.
Ich habe großen Spaß mit mir selbst den Tag zu verbringen, zwischen Erledigungen und Homeoffice: Einfach, weil es mich gibt auf dieser Welt und ich jeden Tag unendlich viele Möglichkeiten habe, mir den allerschönsten Tag zu machen. Ich fühle mich oft, im ganz normalen Alltag, irgendwie “high” — so beschwingt, aufgedreht, wie angeknipst. Übersprudelnd vor Liebe. Und manchmal wache ich morgens auf und fühle so eine Stimmung wie sonst nur an Silvester, und dann ziehe ich mich auch eben so an. Glitzer zum Sonntagmorgen.
Selbst im grauen Dezember, ist die Großstadt
so bunt, wie man sie sich im Kopf ausmalt.
wird schon alles
“Ich sorge mich nicht grundsätzlich, sondern erst wenn es ‘soweit ist’, weißt du wie?”, erkläre ich ihr. Wir liegen auf der Couch, aber jede bei sich. Uns trennen drei Kilometer und ein ganzer Kiez. Mein Handy ist mit Videocall auf der Lehne aufgestellt, daneben flackert eine Kerze. Sie liegt bei sich und balanciert ein Glas Rotwein auf ihrem Bauch. Beide Konstruktionen sehen übermäßig instabil aus.
Sie rollt mit den Augen. “Manchmal wundere ich mich, in welcher Welt du eigentlich lebst.”
“In meiner eigenen. Aber im Ernst, wäre doch blöd, wenn man von etwas Schlechtem ausgeht, dann hat man sich ja höchstwahrscheinlich am Ende ganz umsonst gesorgt. Es wird schon alles. Immer.”
“Und solange?”
“Schläfst du mit einem Lächeln ein und wachst mit einem auf. Soll helfen, hab ich gehört.”
Johanna says
so schön und lebensbejahend geschrieben! du schaffst es wirklich mit wenigen Worten die Lebensperspektive ein Stück weit umzudrehen. Danke!
Saskia says
Ach Luise, du rettest alles. Ich kämpfe so viel mit mir gerade und weiß nicht mal warum, denn eigentlich bin ich von Herzen glücklich. Mein Tag hat sich so sehr in meinem Kopf abgespült und war dadurch unglaublich anstrengend, aber jetzt freue ich mich auf meinen eigenen Abend, denn mir fehlte diese klitzekleine Erinnerung daran wie gut das Leben ist. Danke, dass du bist wie du bist und schreibst wie du schreibst. 🤍
Marie Luise Ritter says
Schön <3
Valerie says
Liebe Luise, ich mag deine Kolumne sehr! Gerade erst habe ich zum zweiten Mal deine Bücher gelesen, weil sie einem, genau wie diese Kolumne, in schwierigen Zeiten Hoffnung, Freude und so eine glückliche, innere Ruhe bringen. Nach dem Lesen deiner Worte sieht die Welt schon wieder ein bisschen bunter aus. Oder vielleicht zeigst du einem auch einfach, wie man sie sich selbst wieder bunter malen kann. Auf jeden Fall machst du große Lust auf das Leben! Vielen Dank dafür 😊💕
Merle says
Luise, ich habe deine Texte so sehr vermisst. Ich lese deinen Blog seit bestimmt fünf, sechs Jahren und du findest für alles immer die richtigen Worte. Diesen Text kann ich gerade so so gut gebrauchen. Danke, dass es dich gibt!
Marie Luise Ritter says
Wie schön, dass du hier schon so lange mitliest! Danke! :)
Nadine says
Danke Luise ❤️..
..für deine wie immer unglaublich schönen Zeilen, die zum Nachdenken anregen, weil wir uns doch viel zu oft selbst im Alltag vergessen. Alles so “normal” sehen und uns über die kleinsten Dinge aufregen. Ich versuche mir etwas von deinen Worten mitzunehmen, wenn ich beim nächsten Mal wieder grummelig durch den Tag gehe. Schön, dass du wieder zurück bist und deine Worte auf so wunderbare Weise mit uns teilst!
Cornelia Eichner says
Liebe Luise, das ist eine ästhetische Seite mit schönen Fotos.
Viele Grüße
Cornelia
Janina says
So ein wundervoller Text und genau das, was ich nach den letzten Tagen brauchte. Danke! ❤️
Marie Luise Ritter says
Danke Janina ❤️
Lisa says
Wunderschön bewegend und beruhigend zugleich geschrieben. Du schaffst es immer wieder! Vielen Vielen Dank dafür
Jessica says
Liebe Luise, deine Texte inspirieren, regen zum Nachdenken an. Ich bin eins mit dir, wenn du schreibst, dass du dich über jeden neuen Tag freust. Ich habe das auch getan, aktuell ist es bei mir in der derzeitigen Situation leider weg. Vieles darf , kann , sollte man nicht mehr tun, was ich wirklich gerne gemacht hab. Ich war bis mein Beruf mich aufgefressen hat eine passionierte Leserin. Hoffe, dass ich mir diese Freude wieder in mein Leben holen kann. Drück mir die Daumen. Der Job ist gewechselt, genau jetzt. Es sind die kleinen Dinge, die das Leben toll machen, auch das sehe ich so. Ich freue mich auf ganz viele weitere inspirierende Texte von dir. Liebe Grüße
Dorothee says
Liebe Marie Luise,
schön deine Seite, und schön, wie die Fotos deinen feinen Text untermalen, so dass ich ganz eingetaucht bin.
Liebe Grüße,
Dorothee
Reinhold says
Kann man eine schönere oder bessere Einstellung zum Leben haben? Ich denke nicht. Mit sehr viel Wärme und Überzeugung hast du diesen Text geschrieben. Ich bin Familienvater von zwei erwachsenen Kindern. Ich habe meinen Kindern auch immer beigebracht das die kleinen Dinge im Leben zählen. Wenn wir nicht uns nicht mehr an diesen unendlich vielen kleinen Dingen im Leben erfreuen können, fehlt uns grundsätzliches. Es wieder zu lernen, ist einfacher als manch einer denkt. Wir müssen nur die Augen öffnen und sehen was Gott uns geschenkt hat.
Hannah Sophia says
Ach, einfach nur schön. Danke für so toll in Form gebrachte Worte und Gedanken! ☀️