„Ich hatte gestern so guten Sex, so eine schöne Nacht, ihr macht euch ja kein Bild”, beginnt sie. Während die eine strahlt und tänzelt, bleibt die andere abrupt stehen.
„Du hast jemanden gesehen? Und das erzählst du erst jetzt?“ Ich bemerke, wie ihr Blick ins Ungläubige wechselt.
„Was meinst du?“ Meine andere Freundin wirkt verwirrt.
„Naja, soziale Kontakte kleinhalten, kannst du nicht vorher sagen, dass du diese Woche Leute getroffen hast? Was ist, wenn ich mich jetzt bei dir anstecke?”
“Also ich halte meine Kontakte klein.” Ihr Ton ist scharf. “Außer ihm seid ihr der zweite und dritte Mensch, den ich diese Woche sehe, und wir haben schon Freitag. Ich habe keinen Weg zur Arbeit, stehe morgens in keiner U-Bahn. Ich war im Supermarkt, sonst nur Homeoffice, also das wars.”
“Sorry, das finde ich echt nicht cool. Das kannst du ja vorher sagen. Ich will da einfach wirklich safe sein.”
“Und wie wäre das dann abgelaufen, muss ich mich entscheiden, ob ich Dates sehe oder euch auf einen Abstand-Spaziergang durch die Sonne in der Mittagspause …”
Niemand sagt etwas.
Wir trotten nebeneinander her, gehen zeitweise hintereinander, wenn der Bürgersteig zu eng wird. Wen denn eigentlich, wen hast du gesehen, will ich sie noch fragen, weil es mich interessiert, aber ich weiß, dass die Stimmung in dieser Runde gerade nicht für Details gemacht ist. Der Moment ist vorbei. Eine Wolke aus Verurteilung wabert neben uns her.
Es ist ein Drahtseilakt. Die Maßnahmen auf der einen Seite, die eigene mentale Gesundheit, die tendenzielle Einsamkeit, auf der anderen.
Was macht Corona mit der Psyche und wie beeinflusst es unsere Kontakte? In meinem Freundes- und Bekanntenkreis nehme ich war, dass sich alles verlangsamt und entzerrt hat. Die Frage nach Exklusivität, die nach ‘wen triffst du noch gerade so’ steht quasi ab Sekunde eins wie ein uneingeladener Gast immer mit im Raum. Es wird direkt angesprochen statt wochenlang elegant umschifft, wir legen uns fest, bevor wir eigentlich festgelegt sind. Corona nimmt uns, in gewissem Maße, die Entscheidung gerade ab. Eine Person darf getroffen werden. Wie verändert die Pandemie unsere sozialen Beziehungen, wenn wir uns entscheiden müssen? Ich sehe in meinem Umfeld diese Fragen aufploppen: Wenn wir nur eine Person sehen dürfen, wer ist das dann, und wie kommuniziere ich mit allen anderen? Wer ist „meine“ Person? Und bin ich auch „ihre“ oder „seine“?
wie viel Abstand ist zu viel Abstand?
Ich bin im Dezember jeden Abend durch die Dunkelheit meines Viertels gelaufen und habe mir die Weihnachtsbeleuchtung an den Fenstern und Balkons angeschaut. Hell und blinkend machten sie den Blick in die Wohnungen frei. Durch den hellen Schein der Kränze und Lichterketten und aufgezogenen Gardinen war es plötzlich so, als könnte man Teil eines fremden Familienlebens sein. Während ich spazierte, sah ich Familien beim Tischdecken zu und viele filmmernde Fernsehgeräte, Mitbewohner rauchend im Erdgeschoss und einen eingenickten Opa in einem Ohrensessel. Und auch wenn ich versuchte, meinen Blick nicht unfreiwillig durch fremde Fensterscheiben huschen zu lassen, gab es mir ein ganz wohliges Gefühl von Verbundenheit. Ich fühlte mich mit all diesen Menschen, die jeder den Lockdown auf eine eigene Weise in ihren Wohnungen verbrachten, verbunden.
Wir alle hängen irgendwie zusammen, gerade in der gleichen Situation fest. Wir teilen die Straße auf dem Weg zum Bäcker, den Blick in den wolkenverhangenen Himmel, den Ärger über die Situation genauso wie die Hoffnung, dass sehr bald sehr viel wieder besser sein wird. Ich bin von Menschen nicht abgeschieden – ich hänge mit ihnen zusammen. Egal ob ich sie seit Jahren kenne, morgen erst kennenlerne oder nur durch eine Fensterscheibe sehen kann. Sie sind überall um mich herum und oft nur ein Lächeln entfernt.
Ich glaube, dass es komplett unabhängig davon ist, mit wem wir zusammen sind, ob wir uns der Welt um uns herum verbunden fühlen. Ich glaube, dass das alles in uns und um uns selbst anfängt. Ich glaube aber auch,
dass wir uns in uns aufkommender Einsamkeit stellen müssen. Was fehlt mir gerade? Und was fehlt mir wirklich? Was kann ich ändern? Kann ich gerade überhaupt etwas ändern? Eine Frage nach der anderen auf dem Weg zum Kern der eigentlichen Sehnsucht.
Vielleicht sind wir daher gerade auch – irgendwie – verbunden in unserer Einsamkeit. Ich glaube, es ist wichtig immer und immer wieder zu erkennen: Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation. Es wird nicht für immer so bleiben. Es ist eine Zeit, durch die wir gerade durch müssen. Jedes Gefühl ist erlaubt. Und keines final. Vielleicht ist es auch erlösend, zu erkennen, dass wir gerade nichts daran ändern können.
Vielleicht sind wir nicht ‘einsam’, sondern einfach mal eine Weile nur für uns selbst, um unser volles Potenzial zu entfalten. Vielleicht ist das Leben nicht auf Pause, sondern lädt uns ein, in einem Moment der völligen Entschleunigung zu schauen, ob da, wo wir gerade sind, sich richtig anfühlt. Was wir zu einem glücklichen Leben wirklich brauchen. Und wie man sich aus den einfachsten Gegebenheiten, im Alltag ganz ohne noise und Ablenkung, die größte Zufriedenheit erschaffen kann.
Wir setzen später am Telefon fort, wo wir vorher aufgehört haben. Nur noch zu zweit. Nicht jede*r hat gerade ein offenes Ohr, und das ist okay, weil es okay sein muss. Weil jede*r anders mit dieser Ausnahmesituation umgeht und umgehen darf.
“Ihr seid beide absolut im Recht mit eurer Sichtweise. Die Maßnahmen sind wichtig, zweifellos, aber trotzdem muss jeder bei sich ansetzen. Also, weißt du, im Sinne von, wie kann ich mitgehen ohne durchzudrehen? Natürlich kann ein Mensch in einer festen Partnerschaft nicht genau nachfühlen, wie es ist, während einer Pandemie Single und komplett alleine zu sein. Und das kann man deswegen auch niemandem übel nehmen … “, sage ich.
“Ich verstehe sie ja, und ich verstehe auch, dass sie sich damit nicht wohlfühlt. Aber ich kann das nicht, niemanden zu treffen, weißt du wie? Ich werde sonst verrückt. Ich muss ab und zu mal jemanden sehen. Ich hab sonst ja niemanden. Ich drehe noch durch und fange an mit meinen Wänden zu reden. Manchmal bemerke ich eine ganze Woche lang nicht, dass ich niemanden in echt gesehen habe. Dann sitze ich sonntags da und es ist, als würde die Hektik der Arbeitswoche komplett von mir abfallen. Und dann ist da nur noch Einsamkeit mit im Raum.” Sie seufzt.
Wir schweigen, weil wir beide wissen, was der Schlüssel ist, in einer Freundschaft damit umzugehen: Verständnis füreinander haben und die Bedürfnisse und Sorgen des anderen ernstnehmen. In unseren Herzen nicht zu viel Abstand entstehen zu lassen. Und dann: Dieser Moment von vorhin, er ist wieder da. Der für geteilte Begeisterung.
“Also”, fängt sie an. “Wir haben uns direkt bei mir getroffen. Naja, wir waren erst unten spazieren, und dann habe ich ihn zu mir hoch eingeladen. Ich hatte ein gutes Gefühl. Er war so wertschätzend, so ruhig und angenehm. Es war keine Flucht ins Nachtleben, es ist kein Alkohol geflossen, keine Bar, oder wie das Date wahrscheinlich normalerweise ausgesehen hätte. Wir haben kurz Nudeln gekocht und währenddessen haben wir uns über unsere Kindheiten unterhalten, er hat mich gefragt, wann ich das letzte Mal geweint habe. Und plötzlich habe ich bemerkt, als würde ich neben mir stehen und mir zusehen, dass ich das wirklich erzählt habe. Das sind Themen die ich bei einem ersten Date außerhalb einer Pandemie wahrscheinlich nie geteilt hätte. Wir haben so viel ineinander ausgelöst. Und wir haben direkt beschlossen, erst mal nur noch einander zu sehen. Ich glaube diese Ruhe der aktuellen Zeit, gibt ja keine anderen Möglichkeiten, hat es geschafft, dass wir direkt so richtig tief gehen, weißt du wie?”
“Den Alltag teilen, weil man nicht daraus abhauen kann …”, sage ich.
“Sonst ist ein Sich-Kennenlernen immer eine Flucht in vielleicht eine andere Person, man ist eine buntere Version von sich, dank des richtigen Settings. Aber jetzt stehen wir einfach nur in meiner Küche …”, sinniert sie. “Mein Kopf hat zwischendurch richtig gekribbelt. Es war so … normal. Und dieses Wort habe ich vielleicht noch nie genutzt und dabei so positiv gemeint wie jetzt.”
Chrissy says
So ein toller Artikel! Ich selbst habe die gleiche Erfahrung gemacht, dass Dating aktuell – wenn es sich für mich gut anfühlt – so wichtig für meine mentale Gesundheit ist. Ich habe aber auch gemerkt, wie viel schneller man sich festlegt auf eine Person, schneller in die Tiefe geht, die unterschiedlichen Herausforderungen miteinander teilen möchte. Und das finde ich so viel schöner als ein beschleunigtes Umherwandern ohne sich entscheiden zu wollen :)
Kathi M. says
Ganz toller Artikel, Luise!
Du beschreibst die Situation so treffend und findest außerdem die perfekten Worte.
Danke! 💛
Gianna says
Wirklich schön geschrieben und es so gut auf den Punkt gebracht.
Kati says
Liebe Luise,
ich verfolge dich schon länger bei allem was du machst und lese sehr gern deine neue Kolumne. Es ist toll wie du deine Follower quasi nach Inspirationen fragst und dann einfach so einen schönen Text verfasst! :)
Im Spätsommer letzten Jahres habe ich auch jemanden kennengelernt und hatte dieses “normal”-Gefühl auch mit ihm.
Eine gute Zeit dir :)
Sara says
Liebe Luise,
du hast Recht – Verständnis füreinander ist der Schlüssel, während alle versuchen die Balance zu finden und zu halten. Danke für dieses anschauliche Beispiel von Freundschaft in Krisenzeiten.
LG Sara.
Marie Luise Ritter says
Liebe Sara,
danke für deinen Kommentar, der meine Intention des Textes perfekt zusammenfasst.
Liebe Grüße,
Luise
Carolin says
Liebe Luise, ich mag deine Anekdoten. Besonders mochte ich in dieser den Gedanken, dass wir Menschen gerade nur ein Lächeln voneinander entfernt sind. Was für eine schöne Vorstellung. Danke dir und liebe Grüße, Carolin
Marie Luise Ritter says
Liebe Carolin, dankeschön von Herzen. :)