Hektisch bereitet er in seiner Wohnung die Drinks zu und reicht mir einen, bevor er wieder sein Zimmer verlässt, um irgendetwas im Flur zu räumen. Alleingelassen sitze ich mit einem Aperol auf seinem kleinen Sofa und blicke mich in dem chaotischen Zimmer um. Es ist ein sauberes, unaufregendes, schönes Chaos. Verteilte Fotografiemagazine, ein Fahrrad, das leicht angetippt an der Wand steht, als würde es sie nicht mehr als nötig berühren wollen. Auf Leinwand gezogene Bilder, Unterlagen auf einem Haufen am Rand der Heizung, fein säuberlich gestapelt. Ästhetisch irgendwie. Nicht so wie bei mir, wo am Ende einer anstrengenden Woche Klamotten, Wäsche, und die halbgepackte Sporttasche irgendwo auf einem unansehnlichen Haufen liegen und vor sich hinstauben und der Müll anfängt, unangenehm zu riechen. Ich weiß nicht, wie er dieses Chaos erschafft. Sieht künstlerisch aus, und er da mitten drin, der Mittelpunkt seiner eigenen Welt.
„Ich habe das Gefühl, er sieht mich nicht“, werde ich am nächsten Tag zu einer Freundin sagen und es ganz genau so meinen. „Ich habe das Gefühl, er sieht durch mich hindurch.“
Es ist, als würde er mich in kleine Zeitfenster seines Alltages dazwischen quetschen. Am Ende macht es keinen Unterschied, ob ich mich in seiner Nähe befinde. Und auch wenn wir viel miteinander lachen, und ich unsere Unternehmungen genieße – es fehlt etwas. Für mich vor allem das Gefühl, er würde mich wirklich kennenlernen wollen. Ich bin austauschbar. An diesem Abend gestehe ich mir ein, was ich bislang nicht wahrhaben wollte: Ich fühle mich in seiner Gesellschaft wirklich einsam.
Als er wieder ins Zimmer kommt, ist sein Glas halb leer, und sein Telefon an seinem Ohr. Er redet mit jemandem und nickt mir entschuldigend zu. Konzentriert nippe ich an meinem Glas und wirbele den Drink in meinem Mund herum. Ich muss dem Drang widerstehen, mein Glas in einem Zug zu leeren.
„Geh einfach“, sagt mir eine innere Stimme, die ich wegwische. Wie angewurzelt werde ich die nächsten drei Stunden auf diesem Sofa sitzen bleiben. Stumm und unabsichtlich um eine Aufmerksamkeit betteln, die mir nicht zuteil werden wird. Wahrscheinlich ist sie zu viel verlangt, für diese lose Verbindung, die wir miteinander eingegangen sind. Vielleicht ist es falsch, sie zu brauchen. Und doch sehne ich mich nach ihr, gerade deswegen – weil er sie nicht einfach so um sich wirft. Wir wollen gesehen werden, für das anerkannt und geschätzt werden, das uns ausmacht. Vor allem von denen, die uns nicht sehen.
Wir haben eine Dynamik entwickelt, in der ich die Fragen stelle, und ihn erzählen lasse, in der wir um ihn kreisen, ich zu Gast in seinem Universum. Er war noch nie in meinem. Ich bin austauschbar, eine nette Unterhaltung, ein Zwischenkick, aber eher für die Erfüllung eines offenen Bedürfnisses und nicht für die persönliche Begeisterung an meiner Person. Ich habe mit ihm noch keine Unterhaltung geführt, in der ich all die Dinge, über die ich gerne reden würde, loswerden konnte.
Als er auflegt, strahlt er. „Na? Alles gut? Prost!“, lässt er sein Glas gegen meins fallen. Ich nicke. „Prost.“ Als ich etwas erwidern will, greift er in meine Haare, hält meinen Nacken fest. Ich lasse es zu.
Die Lichter des Clubs beleuchten mein Gesicht, das sich von innen anfühlt, als würde es zufrieden aussehen. Teilnahmslos vielleicht. Ergriffen zumindestens. Bass und Stimmung tragen sich durch den Raum, erfassen die Körper um mich herum. Ich werde angesprochen, wir schmunzeln kurz zusammen, aber ich entferne mich mehrfach aus den Wortfetzen, die zwischen uns im Raum schweben und konzentriere mich aufs Tanzen, auf mich und die Musik. Er greift mir in den Nacken und zieht mich mehrfach zu sich hinüber. Damit ich seine Worte höre, alle, die er loswerden will. Und das sind viele. Wir sind auf Augenhöhe. Ich lehne ab.
Eine deutlich kleinere Frau drängt sich zwischen uns, blickt mich an und ergreift fest meine Schulter. “Hey, ist das gerade okay für dich mit ihm? Bedrängt er dich? Wenn du mich brauchst, ich bin hier.” Ihre Augen verlieren für keinen Moment den Blickkontakt zu mir.
“Ähm, danke, alles gut”, versuche ich ihr durch die wummernden Bässe zu vermitteln und bin geplättet von ihrer Aufmerksamkeit. Sie tanzt wieder weg und mein Blick verliert sich zwischen den Köpfen vor mir ins Leere. So hatte ich die Situation nicht wahrgenommen. Aber ich hätte sie so wahrnehmen können. Und sie hatte es gesehen, mich gesehen.
Zu anderer Musik in einem anderen Raum merke ich die Blicke einer strahlenden, blonden Frau. Als wir aneinander vorbeilaufen, nimmt sie mich lachend in den Arm, komplimentiert meine Ausstrahlung. Ich halte lange Blickkontakt zu ihr, während ich mich aufrichtig für diese Bemerkung bedanke. Ich nehme mir fest vor, mir daran ein Beispiel zu nehmen. Als ich mich an der Bar mit einem neben mir tanzenden, sehr großen Mann unterhalte, nur kurz Wasser holen wollte, tippt mir jemand auf die Schulter, und fragt einfach nur kurz: Bist du ok?
“Heute war wirklich verrückt”, sage ich später zu meinen Freundinnen, als wir unsere Jacken an der Garderobe entgegen nehmen. Vor allem, weil ich mich an diesem Abend unheimlich gesehen fühlte. Wertgeschätzt, anerkannt. Augen die sich ineinander festhielten. Als würden wir alle aufeinander aufpassen. Ich fühlte mich wohl und geborgen inmitten dieser fremden Menschen.
Meine weißen Turnschuhe sind dreckig, als ich im hellen Licht des Hausflures glückselig die Treppen wieder nach oben steige. Mich so gesehen zu fühlen, hatte an diesem Abend viel mit mir gemacht – und die Frage ließ mich nicht los, ob andere sich im gleichen Maße von mir gesehen und verstanden fühlten. Und wie viel ich mir daran noch ein Beispiel nehmen wollte. Zu erkennen. Hinzusehen.
Aber vielleicht lag es nicht nur daran, was andere uns gaben. Vielleicht ist es auch, wie viel wir von uns zeigen. Wie sehr wir es zulassen. Wie sehr wir gesehen werden wollen.
Daniela says
Ich liebe deine Kolumnen und diese trifft mein Herz besonders, da ich es sehr fühle!
Danke dir!
Anni says
Super schön wieder so etwas von dir zu lesen. Fühle es sehr! Danke für den Denkanstoß:)
Julia says
Was für ein schöner Text. Ich kann voll mit beiden beschriebenen Situationen und den jeweiligen Gefühlen darin mitfühlen! Deine Texte fassen einfach so oft meine Gedanken in Worte :)
Lara says
Was ein wunderschöner Text, der mir das Gefühl gegeben hat, es handelt sich um meine Erinnerungen. So real war er für mich. Danke, dass du uns na diesen Situationen teilhaben hast lassen
Cathi says
Der Text ist so berührend. Es ist so schön, so gesehen zu werden. Ich würde mir sehr wünschen, dass das in unserer Gesellschaft nicht eine Besonderheit bleibt zukünftig sondern dass wir alle achtsamer mit anderen umgehen. Ich versuche das auch mehr zu machen, wacher zu sein und mutiger. Lieben Dank für den Text Luise.
Gesa says
du kannst Gefühle einfach so gut in Worte verpacken! Den Text hab ich sehr gefühlt.