Ich schultere den Sixpack Wasser, klemme mir Post und den restlichen Einkauf unter den Arm und schiebe meine Eingangstür mit dem Fuß auf, um den Hund vor mir reinzulassen. Oben im vierten Stock lasse ich alles auf meinen freistehenden Tresen fallen und greife mir eine kalte Dose Cola aus dem großen Kühlschrank. Über die offene Balkontür fällt die Sonne in langen Bahnen auf den dunklen Holzboden, der leicht knarzt, als ich über ihn tapse, um die Glasscheiben aufzuschieben und Licht und Luft hineinzulassen. Ich höre das Stimmengewirr meiner neuen Nachbarn, die auf spanisch laut miteinander reden, höre Töpfe klappern, die Türen schlagen, höre wie der Boiler im Bad neben meinem aufgedreht wird und das Wasser sich durch die Rohre in die benachbarte Dusche arbeitet, höre die Hunde in den Hinterhöfen unter uns bellen, auch nachts. Es ist ein Gewirr an Geräuschen, das mich erst irritiert und dann irgendwie beruhigt, das mich einbettet in dieses neue Leben hier. Ich habe mich vielleicht viel zu schnell daran gewöhnt.
Ich wohne jetzt in einem vierten Stock ohne Aufzug und jedes Mal, wenn ich oben ankomme, bin ich völlig außer Puste. Das Treppenhaus ist schmal, die alten Steintreppen sehr glatt, und ich kann nicht behaupten, dass ich mich nicht schon am ersten Tag völlig auf ihnen lang gelegt hätte. (Kann mir bitte jemand in zwei Monaten schreiben, wie unfassbar fit ich aussehe? Für irgendwas müssen diese Treppen ja gut sein.) An den Wochenenden breche ich zu langen Wanderungen in die Umgebung auf, erklimme Berge und Buchten, treffe mich mit neu gewonnenen Freunden und erkunde die umliegenden Dörfer, esse in spanischen Tapas Bars, tunke Brot in Aioli und spüle alles mit Tinto de Verano hinunter.
Vor allem aber habe ich die ersten Tage oder Wochen in dieser neuen Stadt gar nicht das Bedürfnis, mich jemandem mitzuteilen. Ich laufe herum und staune, heule vor Dankbarkeit, wische mir den Schweiß von der Stirn und falle abends einfach nur völlig erschöpft in mein neues Bett. Bin irgendwie überwältigt, von mir selbst und meinem Leben. Aber nur für mich. Alles andere bleibt still.
Wenn man Dinge ausspricht, sie mit jemandem teilt, sich mitteilt oder sie postet, macht man immer einen Resonanzraum nach außen auf. Fragt ohne Worte nach Feedback, nach einem sich mitfreuen oder nachfühlen, vielleicht auch nur nach jemandem, der nickt und sagt: Ach ja, voll schön. Für die meisten ist es wohltuend, sich mitzuteilen, Teil ihrer sozialen Identität. Wir brauchen Feedback, Bestätigung, Aufmerksamkeit, Kontakt, Kommunikation. Manche mehr, als andere. Vor allem in einem Job als Influencer ist man so eng ans Teilen verknüpft, dass man oft gar nicht darüber nachdenkt, oder erst einmal für sich selbst reflektiert. Dass man nicht für sich erlebt. Sondern durch die Kamera. Ich ertappe mich selbst immer wieder dabei.
Ich habe mir sowieso angewöhnt, Momente immer nur nachträglich hochzuladen, nie während sie passieren. Erst abends wenn ich wieder zu Hause bin, einen Tag später, oder ähnliches. Es ist eine unsagbare Geschwindigkeit, mit der Social Media uns einsaugt und gefangen hält. Hier denke ich, nicht das erste Mal, darüber nach. Was teile ich? Was will ich ganz für mich behalten?
Je länger ich hier wohne, desto beschwingter flitze ich die Treppen in und aus dem vierten Stock hoch und runter, die viele Bewegung, die ich hier jeden Tag zu Fuß zurück lege, macht mich fit. Im winzigen Gästezimmer habe ich meine Yogamatte ausgerollt und es zu meinem Sportraum erklärt. Es fällt mir leicht, hier abends noch ein paar Handgriffe zu tun, bis die Küche wieder ordentlich ist, ins Bett zu gehen und das Handy ausgeschaltet in der Küche liegen zu lassen. Es nicht mitzunehmen und auf laut unter mein Kopfkissen zu schieben, um nichts zu verpassen, um da zu sein, erreichbar zu sein. Vielleicht, weil das Lebensgefühl hier für mich ein anderes scheint. Als hätte sich hier alles entschleunigt. Als hätte jemand die Geschwindigkeit für mich rausgenommen.
Während meiner Reisen alleine wurde mir immer wieder diese Frage gestellt. Dieses: „Aber ist das nicht blöd, niemanden zu haben, mit dem man seine Erlebnisse teilen kann?“
In meinem Buch das 2023 erscheint steht dieser Satz: Aber kann es nicht auch heilsam sein, etwas nicht teilen zu müssen?
Und daran denke ich hier jeden Tag.
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