„Merci beaucoup“, bedanke ich mich beim Vermieter und nicke, den kalten Schlüssel in meiner linken Faust umklammert. Vorsichtig schließe ich die Tür des Apartments auf. Sie ist rot gestrichen, aus Holz und hängt schief in der Verankerung. Ich brauche Kraft, um sie aufzudrücken. Sonne fällt dahinter auf den weißen Holzboden, der leicht knarzt, während ich über ihn zu den Fenstern laufe, um mir die Aussicht anzusehen. Wir befinden uns direkt am Hafen, in einem vierten Stock ohne Aufzug. Ich seufze und drücke die leicht verwitterten, hellgrünen Fensterläden komplett zur Straße hin auf und betrachte die Stadt und den Trubel zu meinen Füßen. Was für ein schöner Flecken Erde.
„Warum eigentlich Nizza?“, wurde ich vorher gefragt. Es hat keinen besonderen Grund. Mit dem Auto erreichbar, ohne wieder eine Fähre zu nehmen, eine Stadt, aber mit Strand vor der Tür, das beste aus beiden Welten. Und überwintern in Südfrankreich kam mir wie ein großartiger Plan vor.
Es riecht nach Gras, Knoblauch und Räucherstäbchen, als ich das erste Mal durch die engen Straßen der Altstadt spaziere. „In der Altstadt wohnen nur Erasmus-Studenten, nachts ist es laut und überall dreckig, und es fällt kein Licht in die Wohnungen“, erzählt mir eine Frau, die ich noch am selben Tag im Café kennenlerne. Mit meinem Laptop halte ich später auf einer Bank vor einem bunt bepflanzten Park an und schreibe das Ende eines Kapitels fertig, das mir den ganzen Tag über nicht richtig einfallen wollte.
Ich spaziere über den trubeligen Cours Saleya Markt und umringt von frischen Blumen, sonnengereiften Früchten und leuchtendem Gemüse, kaufe ich Baguette, Aufstriche und Socca, ein herzhafter Pfannkuchen, der in seine Einzelteile zerfällt und den man einfach so snackt, und Mimosablüten für meine Wohnung. Ich lasse mich treiben, lausche den Gesprächen der Verkäufer und Kunden, inhaliere die Düfte von Lavendel und frischem Brot und fühle mich, als wäre ich Teil eines lebendigen Gemäldes, das ich mitmalen kann.
Leben im Süden Europas wirkt auf den ersten Blick immer irgendwie ähnlich. Neu und aufregend, lauter als gewohnt, es riecht anders, eben nach so einem Geruch, den mein Kopf instinktiv als „Urlaub“ einstuft, und fremde Sprachen und Stimmengewirr bilden sich zu einem neuen Geräuschpegel, der mich hier durch die Tage trägt und ganz duselig macht.
Zurück im Apartment packe ich die Bettsachen der Wohnung in den Kleiderschrank, ich habe meine eigene Ausstattung dabei. In Windeseile ist alles aus dem Auto in die kleine Wohnung geräumt.
Ich beschränke mich neben der riesigen Bettdecke und einem eigenen Kissen, dass ich immer überall hin mitnehme, auf ein paar Gewürze, meine Schüsseln und Kerzen, zwei Koffer, meine Yogamatte und einen eigenen, handlichen Akku Staubsauger. Alles andere benutz ich, was da ist. Das ist nicht immer viel. Ein einziger Topf, nur eine Pfanne, aber zumindest eine gute. Das reicht.
In fremden Miet-Apartments ein paar Wochen oder mehr zu verbringen, heißt auch immer, sich auf ein vereinfachteres Leben einzustellen. Hier gibt es nicht die scharfen Messer, die ich in meiner eigenen Wohnung vorher hatte, nicht die große Auswahl an Kochutensilien und Gerätschaften. Dass das Apartment keinen Mixer hat, fällt mir erst auf, als die Paprika für die Romescosauce fast fertig geröstet sind. Leben hier ist improvisieren, gefühlt jeden Tag.
Mittags Punkt zwölf Uhr knallt es in Nizza ohrenbetäubend laut. Eine Kanone, die vom Hügel des Chateaus händisch abgefeuert wird, seit über hundert Jahren. Nur wenige Male, wie zu Anfang der Pandemie, musste der Knall ein paar Tage aufgrund der Ausgangssperre aussetzen. Der Legende nach wollte der englische Gentleman Thomas Coventry seine Frau an die Mittagszeit erinnern, die nur langsam von ihren Morgenspaziergängen zurückkehrte, und überredete deswegen die Stadt Nizza, die Mittagszeit mit einem Schuss zu markieren. Tatsächlich begeisterte er sich bloß für Zeitmessung, und schenkte später sein Equipment der Stadt. Die Mittags-Explosion gehört heute fest zu Nizza dazu.
Das lerne ich bei einer Walking Tour, zu der ich mich eines Morgens spontan anschließe. Der Knall schreckt mich auf und erinnert mich ab da jeden Mittag daran, eine Mittagspause einzulegen. Vorher kann ich mich vollkommen vertiefen, da ich eh weiß, dass ich geweckt werden. Hyperfokus, von der Stadt zur Verfügung gestellt, quasi.
Die folgenden Wochen wandere ich um Saint-Jean-Cap-Ferrat, fahre nach Menton, klettere die Hügel rund um Monaco hoch, spaziere immer wieder die Promenade auf und ab, und sauge das Leben hier in mich auf – und schreibe darüber. Meistens in einem der Cafés, die die Promenade säumen, mit ihren offenen Balkons in den ersten Stockwerken, von denen ich das Meer betrachten kann. Mein Gesicht ist von Sonnenschein getränkt. Ich bin sicher: Das Glitzern auf der Oberfläche ist eines der schönsten Bilder, die die Natur malt, das man mit seinen eigenen Augen sehen kann.
Es fällt mir hier leicht, mich zu verbinden. In Kontakt zu kommen. “Komm doch morgen mit, ich bin mit fünf Freundinnen”, schreibt sie mir. Als würde man nur darauf warten, neue Kontakte aufzusaugen, sich wie frei schwebende Atome aneinander zu pappen und gemeinsam durch luftleere Räume zu gleiten. Ich hab Platz, gesell dich doch dazu. Ich nenne sie Freundin, dabei kennen wir uns nur ein paar Tage. Menschen die ich kennenlerne, während ich im Ausland wohne, sind irgendwie automatisch meine Freunde. Zwischen fremd und freund existieren keine Zwischenstufen. Aber ich weiß nicht, ob ich je irgendwo in so kurzer Zeit so viele tolle Menschen kennengelernt habe, wie hier.
Winter ist für mich immer zum Schreiben da, mich zurückziehen, nächtelang in Kerzenschein am Schreibtisch sitzen. Bei meinem Spaziergang knie ich mich hin, um ein paar Blumen, die verloren am Wegesrand sprießen, genauer in Augenschein zu nehmen. Die ersten Blumen, die nach dem Winter aus dem Boden spitzen, heißen Frühblüher. Sie gelten als Vorboten des Frühlings.
Das neue Buch ist jetzt fertig geschrieben, es erscheint am 27. Juni. Zweieinhalb Monate in Südfrankreich gehen zu Ende. Ich habe noch kein neues Apartment, aber immerhin einen groben Plan: Erst einmal geht es nach Paris.
Das Leben hier an der Côte d’Azur hat keine Uhr, die abläuft. Und das sage ich vielleicht immer: Ich komme zurück, ganz sicher. Diesmal meine ich es wirklich so.
Aber jetzt bin ich erstmal gespannt welche Geschichten ich euch aus Paris erzählen werde. Au revoir!
(Mehr davon könnt ihr auf Instagram sehen. <3)
Bild: Morgan Wills
Maria Braun says
Ich kann mich nicht entscheiden, ob die das erste Foto mit Cappuccino & Croissant oder das letzte Foto von dir bei Sonnenuntergang am schönsten finde. Wie kann beides nicht die Essenz des Lebens einfangen? Danke für deinen fluffig leichten Text und die Erinnerung daran, dass die Schönheit dieser Welt immer in Reichweite ist :) Amuse-toi bien & wir sehen uns in Paris! Maria