Ich habe 2,5 Monate in Südfrankreich verbracht, in Nizza direkt am Hafen, genauer gesagt. Dieses Jahr im Winter, quasi den ganzen Jahresbeginn. Diese Zeit war so etwas besonderes. Ich bin mit meinem Auto runtergefahren, um mich dort in einem Apartment einzuschließen und mein neustes Buch fertig zu schreiben. Das, das jetzt so ein schönes Cover mit blauer Schrift und einer Zitrone ziert, das ich da noch nicht kannte. Zu jenem Zeitpunkt hatte ich nur eine Menge Notizen, eine ungewisse Zukunft, wusste nicht, wo ich am Ende des Jahres sein würde. Dort habe ich alleine (fast) ins neue Jahr reingefeiert, allein gelebt, kaum jemanden gekannt. Dann kam Paris, jetzt bin ich zurück in Palma, ab da war ich eigentlich dauerhaft in Gesellschaft, aber diese Zeit in Nizza wird immer etwas besonderes für mich sein. So… magisch. Ich habe nächtelang bei Kerzenschein an einem wirklich unbequemen Tisch gesessen, versucht mich durch Notizen zu wühlen, Kapitel zu streichen und andere fertig zu schreiben. Dieses Apartment, dieses Licht, war magisch. Die letzten zehn Monate seitdem fühlen sich wie ein Traum an. Und während das Jahr so langsam wieder dem Ende zugeht, denke ich an die Stationen, die ich dieses Jahr bereist habe. An verschiedene Zeiten, und was sie mir bedeutet haben, als wäre ich von einer zur nächsten gehüpft. Manchmal kann man erst aus der Ferne die Magie erkennen. Der Gedanke an diese Wohnung in Nizza, und wie glücklich ich in ihr war, hat mich danach nie wieder los gelassen. Das goldene Licht auf den langen weißen Holzdielen, und das Knarzen, wenn ich über sie schritt, um die Fenster zu öffnen, mintgrüne Fensterläden vor der blassgelben Fassade, die Luft klarer, die Farben schärfer. Wenn ich daran denke, fällt mir auf: Das Leben dort hat sich unheimlich leicht angefühlt. Diese Wohnung sich so viel leichter als alle anderen.
Ist es die Wohnung und nicht der Ort?
Ich habe vorher und seither, eigentlich in meinem ganzen Erwachsenenleben, an vielen verschiedenen Orten gelebt. Weil es sich so ergeben hat zwischen Studium, Job und Reiselust. Manchmal vermisst man einen mehr, so im Rückblick, manchmal weniger, oder gar nicht. Vor allem manche Wohnung vermisse ich im Nachgang: Vermisse die Person, die ich dort war, vielleicht welches Strahlen ich auf Fotos in meinen Augen hatte, das Gefühl dort aufzustehen oder einfach zu sein.
Am Ende sind es alles nur Wohnungen, vier Wände und bestenfalls eine Tür zum Abschließen, könnte man sagen, eine wie die andere – aber doch sind sie, finde ich, grundverschieden, bringen andere Seiten in uns hervor. Geben uns eine andere Art des Zuhauses und verändern damit unseren ganzen Alltag – und die Erinnerungen daran im Rückblick. Eigentlich machen sie uns zu jeweils anderen Personen, jeder Umzug, jede Veränderung damit ein neuer Lebensabschnitt.
Da war die Wohnung in Hamburg nahe der Alster, die in mir zum Vorschein brachte, morgens zwischen fünf und sechs Uhr aufzustehen und in einem lockeren Trabschritt zum Wasser runter zu joggen, um laufend den Sonnenuntergang zu betrachten, tagsüber an einem großen Esstisch vor meinem Mac zu sitzen und jede freie Minute am oder im Wasser zu verbringen (Da habe ich Tinder Stories geschrieben.)
Da war die erste Wohnung in Berlin, ein großes, zu teures, verspiegeltes Loft in Prenzlauer Berg, mit zwei ratternden Trams auf der Kreuzung vor der Tür, in der wir die Nächte durchfeierten und uns selbst total dabei vergaßen. (Da habe ich Vom Nichts suchen und Alles finden geschrieben.)
Später die Altbau-Wohnung in einem anderen Viertel in Berlin, ein Kompromiss zu Beginn der Pandemie, die mir immer etwas zu weit außerhalb war, zu alt, sehr günstig, und nach und nach erst meine liebste Oase der Ruhe und dann zerstört wurde.
Meine jetzige Wohnung in Palma ist schön (von meinem Schlafzimmer sehe ich das Meer), die davor in Paris war wirklich schön (strahlend hell und ich konnte die ganze Stadt überblicken), daher ist es kaum erklärlich, dass alles stimmt, aber trotzdem das Gefühl ein anderes ist.
Denn eine sticht immer raus: Ich denke ziemlich oft an die Wohnung zurück, in der ich diesen Winter in Nizza gelebt habe. Vielleicht sind es nur Erinnerungen, die ich romantisiere. Ich habe nur zwei Monate dort verbracht, und sie hatte nicht mal einen Balkon, eigentlich passte so vieles daran nicht, aber wenn ich über meine Traumwohnung nachdenke, dann ist es genau die.
Die schwere rote Holztür, die schiefen Treppen und der fehlende Aufzug. Die kalte Winterluft, die durch die offenen Fenster reinzog. In süßen Cafés zu sitzen und am ersten eigenen Roman schreiben, nette Menschen kennenlernen, abends alleine kochen. Ich habe die gleichen drei Songs die ganze Nacht durchgehört, während ich über einer Kerze gebeugt am Laptop saß. Habe mich dort so anonym wie nirgendwo sonst gefühlt, war so glücklich allein. Es war so ruhig in mir. Nur ein kleiner Radius Alltag, inmitten buntgestrichener Hausfassaden. Vor allem mochte ich die Person, die ich in dieser Wohnung war. Vielleicht ist das auch im Umkehrschluss der Grund, warum manchmal das Bauchgefühl bei einer Wohnung nicht stimmt. Vielleicht sagt es: ich mag die Person nicht, die ich hier sein würde.
Wohnungen und Bleiben, das Zuhause, das wir haben, beeinflussen unser Wohlfühlen, unsere Zeit dort und auch, wie wir sie in Erinnerung behalten. Jede Wohnung, in der wir leben, nimmt ein Stück von uns auf und gibt uns gleichzeitig etwas zurück. Der Ort, an dem wir morgens aufwachen und abends zur Ruhe kommen, prägt nicht nur unseren Alltag, sondern auch unsere Sicht auf die Welt. Jeder Umzug fühlt sich dadurch an wie ein kleiner Neuanfang – andere Möbel, andere Geräusche, die durch die Wände dringen. Mit jedem Zuhause verändern wir uns, passen uns an, als ob wir verschiedene Versionen von uns selbst an diesen Wänden abstreifen. Und irgendwann, wenn wir zurückblicken, erinnern wir uns nicht nur an eine Wohnung, sondern daran, wer wir damals waren.
Vielleicht vermissen wir etwas, das damals alltäglich war – die Musik, die in der Küche lief, das Licht, das zur bestimmten Tageszeit durch die Fenster fiel, die Geräusche im Treppenhaus, das eine Knarzen dieser besonders nervigen Tür. Es ist ein kleiner Ausschnitt aus einem Leben, das wir nicht zurückholen können. Und vielleicht ist das die bittersüße Wahrheit: Man verlässt nicht nur einen Ort, sondern auch die Version von sich selbst, die dort gelebt hat. Ein bisschen ist es also auch, als hätte ich mich selbst in diesen vier Wänden in Nizza zurück gelassen.
Es ist ein leises, nicht greifbares Gefühl, als ob man einem verblassenden Schatten nachjagt – einer Erinnerung an das, was wir einmal waren. Dieses Vermissen ist wie eine Sehnsucht nach einer Unbeschwertheit, die man nur in Momenten spüren kann, wenn man an sich selbst von damals denkt. Oft ist es wirklich so: Wir erkennen den Wert eines Ortes, wenn er uns plötzlich fehlt. Im Alltag verschwindet seine Bedeutung hinter Gewohnheit und Selbstverständlichkeit – die vertrauten Straßen, das Licht am Nachmittag, der Geruch, der in der Luft hängt. Erst wenn wir woanders sind, wenn diese kleinen Selbstverständlichkeiten fehlen, beginnen wir zu spüren, was dieser Ort für uns war.
Wie wichtig wohnen ist, wurde mir erst so richtig klar, seit ich meine eigene Wohnung verloren habe, und nur monatsweise in möblierten Bleiben lebe. Die sind allesamt schön und ich kann mich nicht beschweren – aber es legt meinen Fokus auf das, was mir wichtig ist, wie ich mich in ihnen fühle und vor allem, wie ich einen neuen Ort zu einem Zuhause mache. Mancher bleibt dann eins. Für immer.
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