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Hafentrubel

22 Dez. 2025

Ich habe durch einen Zufall die perfekte Wohnung in erster Reihe in Nizza am Hafen gefunden. Alt aber charmant, typisch französisch eben, alles knackt und knarzt ein bisschen, und der Blick Richtung offenes Meer ist atemberaubend. Von den Fenstern aus sieht man einen Sonnenaufgang, der sich jeden Morgen erst zart und dann komplett orange hinter den Hügeln des Mont Boron hervorarbeitet, um dann das ganze Gebiet rund um Port Lympia, das Wasser und die darauf schippernden Boote in goldenes Licht zu tauchen.

Der heutige Hafen in Nizza wurde vor zwei- oder dreihundert Jahren angelegt, damals noch unter dem Königreich Sardinien, also Italien. Erst seit 1860 gehört Nizza zu Frankreich. Vor dem Bau des Hafens war die Gegend eine sumpfige, ungenutzte Bucht, in einem Museum hatte ich mal Bilder davon gesehen. Der Bau war ein ehrgeiziges Projekt für die damalige Zeit, das vor allem für militärische und wirtschaftliche Zwecke gedacht war. Ein wichtiger Knotenpunkt zwischen Genua und Marseille, ein Tor in verschiedene Welten.

Ich lehne mich ans Geländer am Wasser, beobachte die rot-gelben Fassaden, die im Licht aussehen, als seien sie nur für diese goldene Stunde gebaut worden. Die bunten Häuser hier am Wasser sind eine Mischung aus ligurischer und piemontesischer Architektur. Als hätte man einen Klecks Italien nach Frankreich gesetzt, einmal den Farbkasten geschwungen und die Länder miteinander vermischt. Vielleicht liebe ich diesen Ort deshalb so sehr. Er ist so bunt. Er erinnert mich daran, dass man mehr als eine Heimat haben darf.

Das Licht fällt wie eine milde, gelbliche Watte über die Boote. Die Fenster der Altbauten spiegeln es zurück wie kleine Feuer. Alles wirkt weicher hier. Wenn die Sonne untergeht und die Fassaden kupferfarben werden, wenn die Boote sich leicht gegeneinander schieben und die Menschen am Quai langsamer gehen, habe ich das Gefühl, dass man mit einem Mal begreift, dass Leben hier nicht beschleunigt, sondern beobachtet werden will.

 

Seit zwei Monaten ist das hier jetzt meine Wahlheimat.

Nach einem Winter hier in der Stadt war ich im Frühling letzten Jahres erst nach Paris aufgebrochen, aber hatte schon da Nizza nur mit schwerem Herzen hinter mir gelassen.  Anschließend habe ich im Winter in Palma ein Buch über diesen Sommer in Paris und meine Suche nach dem Gefühl von Zuhause geschrieben, und auf den Lesungen zu eben diesem Buch immer wieder gedacht: Mein Zuhause, das habe ich vielleicht da zurückgelassen.

Vielleicht ist es nur eine Momentaufnahme, aber gerade will ich nirgendwo anders sein.

Ich schleppe mein restliches Zeug aus dem Auto die Stufen hoch, inzwischen habe ich mich echt verkleinert und immer weniger dabei. Erschöpft lasse ich mich auf die Couch fallen, sehe auf das Meer, höre in der Nachbarwohnung das Telefon klingeln und den Hund eine Etage über mir aufgeregt bellen.

Ich bin so zufrieden darüber, wieder hier zu sein, und trotzdem liegt über diesen ersten Wochen eine Müdigkeit, die ich nicht wegschieben kann. Dieses Jahr war viel. Mein Nervenkostüm ist dünn geworden, feiner als früher. Ich merke es an den Geräuschen, an der Art, wie ich abends schneller erschöpft bin.

Leben hier ist laut. In südeuropäischen Ländern generell, und vor allem in dieser Lage. Unten röhren die Motorräder lang, die mir hier viel lauter vorkommen als „daheim“. Auf der riesigen Yacht auf der anderen Seite wird nachts gegen zwei Uhr eine Party angestimmt. Vier Uhr schrecke ich hoch, weil der Glascontainer krachend ausgekippt wird. Die Restaurierung der Straße findet auch ausschließlich nachts statt, um den Verkehr nicht zu stören. 22 Uhr rücken die Baumaschinen an und tuckern routiniert für eine Woche lang den Belag der Straße auf, bevor sie gegen fünf Uhr morgens Feierabend machen. Als ich Sonntag Abend auf meinem Bett liege und unfreiwillig durch die geschlossenen Fenster einem Rave auf dem Fähranleger gegenüber lausche, denke ich nur: Ich sehne mich nach diesem Jahr so sehr nach Ruhe. Denke: ich bin hier richtig. Aber ob es das wirklich ist, kann ich auch nicht sagen.

Ich glaube gerade geht es vor allem darum, verschiedenes gleichzeitig existieren zu lassen. Ich darf hier sein und trotzdem müde. Ich darf diese Wohnung lieben und gleichzeitig merken, dass der Lärm viel ist. Und ich darf mir Zeit lassen, um herauszufinden, ob ich mich daran gewöhne. Ob sich der Lärm mit der Zeit in Hintergrund verwandelt – oder ob ich irgendwann beschließe, diese Wohnung wieder einzutauschen.

Nicht alles muss sofort passen. Manche Dinge dürfen sich entwickeln.
Nicht jede Entscheidung muss endgültig sein. Manchmal reicht es, sie für jetzt zu treffen.

In diesem Moment, umgeben von all dem Trubel, gibt mir dieser Gedanke eine unerwartete innere Ruhe. Draußen färbt sich der Himmel langsam dunkler, als würde auch er sich Zeit lassen.

 

by Marie Luise Ritter / Leave a Comment [addtoany]

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