Ich schaute ihr in die Augen, hörte zu. Sie erzählte von ihrem Wochenende mit ihm und wie unsicher sie sich in seiner Gegenwart fühlte. Das Thema hatten wir schon endlos durchgekaut. Wir saßen in der Mittagspause zusammen, die eigentlich zeitlich nicht so hätte ausschweifen dürfen. Mein Kopf war nicht ganz bei der Sache. Und ich ertappte mich dabei, wie ich ein paar Mal dem Impuls widerstehen musste, mein Handy aus meiner Jackentasche zu zücken. Nur ein kurzer Blick auf den Bildschirm, ob er mir schon geantwortet hat. Ob der Termin nachher noch steht. Wann war nochmal der Call heute Nachmittag?
Meistens machen wir das unbewusst: Reden, aufs Handy starren, wieder ins Gespräch einklinken, doch noch kurz bei Whatsapp antworten, jemand wollte noch nachkommen, reden, Faden verloren, worum ging es gerade? Wir priorisieren nicht, wir teilen unsere Aufmerksamkeit in viele verschwommene Puzzleteile.
In der Flut der gleichzeitig stattfindenden Gespräche
verlieren wir die Orientierung.
Ich dagegen checkte zu der Zeit, fast schon in einem automatisierten Ablauf, immer wieder die gleichen Anlaufstellen: Neue Likes zum letzten Insta Foto, Nachrichtenanfragen im 99+ Ordner, dann Whatsapp, dann neu hereingekommene Mails. (Facebook, Tiktok, YouTube & Co. interessieren mich nicht und nutze ich daher nicht). Das ging zack-zack und ohne es wirklich aufmerksam zu bemerken, mein Daumen wischte und klickte diesen Weg ungefähr 6978 Mal am Tag. Wenn das reichte. Es war nicht nur ein ins Blut übergangener Automatismus, sondern die Tatsache, dass es immer etwas Neues zu entdecken gab. Solange ich selbst teilte, folgten Rückmeldungen, die ich wiederum regelmäßig checkte. Es war mein Job, online zu sein, und gleichzeitig lenkte es mich von ihm ab.
Apps wie Instagram sind dazu gemacht, uns so viel wie möglich an sie zu binden. Je mehr Zeit wir darin verbringen, desto mehr verdient Instagram mit der Werbung, die sie schalten. Unsere Aufmerksamkeit ist ihr Verdienst. Wir bezahlen nichts für die Nutzung der Plattform — also sind wir das Produkt, das verkauft wird.
Hirnforscher fanden heraus, dass im Gehirn bei der Benutzung sozialer Netzwerke das gleiche Areal aktiv wird wie beim Konsum von Drogen. Jedes Like, jeder Kommentar, generell jede Neuigkeit, wenn wir aktualisieren, schüttet Dopamin im Gehirn aus, was unsere Lust und Motivation erhöht, immer wieder und wieder reinzusehen, um zu schauen, ob sich etwas in der App getan hat. Und wahrscheinlich gibt es uns ein Stück weit ein Gefühl von Lebendigkeit, so vernetzt zu sein. Ich zumindest hatte mich an die dauernden, neuen Impulse von außen längst gewöhnt.
Ich fragte mich: Brauche ich Instagram in meinem Leben, so sehr, dass ich real davon abhängig bin? Brauche ich die tägliche Bestätigung? Das mich präsentieren? Um mir das zu beantworten entschied ich mich, Social Media mal für eine Weile den Rücken zu kehren. Das Smartphone zu Hause vergessen zu können, ohne dass jemand auf Rückmeldung wartete. Ich wusste die Antwort schon bevor ich diesen letzten Post absetzte. Und doch wollte ich den Selbstversuch machen.
Instagram hat seine einzigartig-tollen Seiten. Das visuelle Ausleben, die ästhetische Komponente, die kein anderes Netzwerk in der Weise hat, die Inspiration, der direkte Kontakt. Aber, wenn ich ehrlich bin: Ich habe es, selbst in neun Wochen, keinen einzigen Tag wirklich vermisst. Ich schätze es. Aber ich kann genauso gut und entspannt ohne meine Präsenz im Internet leben.
Ich denke, es ist wichtig, sich dessen bewusst zu werden. Die eigenen Ausdrucksformen seines Selbst trotzdem klar von sich trennen zu können. Ich denke, es ist wichtig, sich ab und zu nur auf sich selbst zu besinnen. Die eigene Bildschirmzeit runterzuschrauben. Den Lärm abzuschalten. Was würde ich tragen, essen, machen, meinen Tag mit füllen, denken, erleben wollen, wenn es keinerlei äußere Einflüsse, sondern nur mich gäbe? Damit sage ich nicht, dass wir all das verlieren, sobald wir eine App auf unserem Telefon öffnen. Aber wir sind ohne definitiv “unverfälschter wir selbst”. Wir Menschen sind soziale Wesen, Social Media gaukelt uns die soziale Komponente aber nur vor — und meistens fühlt man sich nach langer Benutzung einsamer und ausgelaugter als davor.
Während ich in den letzten Wochen ein Masterstudium anfing, mich beruflich veränderte, viel Zeit in der Natur verbrachte, zum ersten mal Canadian Thanksgiving feierte, im Urlaub war und Geburtstag hatte, kam mir nicht einmal in den Sinn, etwas davon zu teilen. Im Gegenteil: Ich wurde zu der Freundin, die lachend mit den Augen rollte, wenn jemand anderes noch schnell “ein bisschen Content für Instagram” produzieren wollte. Während der Recherche zu diesem Post las ich: Heavy-Smartphoner-User nehmen, zusammengerechnet, täglich Kurznachrichten, Post-Unterschriften und Story-Untertitel in der Menge eines Romans in ihr Gehirn auf. Kein Wunder, dass vielen kaum Zeit zum Lesen richtiger Bücher bleibt, oder? Daher: selektiere, was du konsumierst, was in deinen Kopf darf, womit du dich beschäftigst. Alles, womit wir uns umgeben, beeinflusst uns, dich, deine Gedanken.
Es ließ mich nicht mehr los. Und so entfernte ich mich emotional immer mehr von dem Drang, online stattzufinden.
Ich mag es, mich mitzuteilen, aber ich kann genauso gut ohne leben. Vielleicht definiert das auch eine neue Art des Onlinestattfindens für mich. Statt “jeden Tag ein Foto, denk an den Algorithmus!!1elf” also jetzt nur noch Hobby und Freude daran, wie zu Beginn. Und damit willkommen zu einer neuen Beitragsreihe hier auf dem Blog. Die uns auch zu den Anfängen bringt: Ursprünglich habe ich luiseliebt.de 2011 als Ort für journalistische Arbeitsproben gegründet und eine wöchentliche Freitagskolumne geschrieben. Und im Sinne von back to the roots als unregelmäßige Textreihe über das Leben und die Liebe in der Großstadt passt das doch ziemlich, ziemlich gut.
Lisa-Marie says
Es freut mich von dir zu lesen 😊 ich freue mich auf weitere Texte 😊 Alles Liebe, Lisa
Juli says
Deine Abwesenheit hat mich zum nachdenken angeregt. Obwohl ich nur Konsument bin, und somit nicht mein Geld verdienen muss, schaue ich zu oft auf Insta rein.
Ich freue mich, wo auch immer, von dir zu lesen.
Grüße Juli
Babsi says
Danke für deine treffenden Worte! Damit regst du eigentlich das Reflektieren in mir an.
Janine says
Ja, so geht es ehrlich gesagt auch mir. Ich möchte jetzt auch ein Experiment starten & schauen, wie es ist ohne Social Media. Denn diese bereits verinnerlichten, automatisierten Bewegungen, die du beschreibst Luise stelle ich auch bei mir fest. Bedenklich!
Danke für’s Anregen!
Anonymous says
Solche Art von ausführlicheren Texten gefällt mir viel besser. Schön das Du Dich in den neuen Wochen hier wieder gefunden hast!
Liebste Grüße!!
Leonie says
Es freut mich sehr diese Art von Text von Dir zu lesen. Schön, dass Du Dich nach den neun Wochen hier wiedergefunden hast!
Liebste Grüße!
Aurora says
Ich habe dich auf Instagram vermisst und mich immer gefragt, ob es dir gut geht. ❤️
Jana says
So so schön von dir zu lesen. Und vor allem – so eine schöne Art von dir zu lesen.
Lisa says
Da ist sie wieder unsere Luise. Toll mal wieder von dir zu lesen.
Auch wenn du es nicht so wirklich vermisst hast. Wir dich und deine Gedanken schon! 😍
Lena says
Es ist so schön, wieder etwas von dir zu lesen. Freue mich auf weitere Beiträge ❤️
Marie says
Danke für den Post! Ich habe das auch für mich festgestellt und arbeite da grade auch dran, denn mein Konsum ist viel zu hoch und ich limitiere mich jetzt auch viel mehr. Das klappt ja am iPhone mit der “Bildschirmzeit” ganz gut, war aber wirklich erschreckend das zu sehen und hat mir ziemlich zu denken gegeben.Kaum distanziere ich mich von Social Media, habe ich auch die innerliche Ruhe und vor allen Dingen auch die Zeit, echte Bücher zu lesen. Hatte ich vorher tatsächlich nicht.
Nathalie says
Liebe Luise,
mich freut es sehr, wieder etwas von Dir zu lesen. Ich finde es wirklich gut, dass Du diesen Beitrag geschrieben hast. Vielen Dank dafür 😊
Denise says
Du regst einen zum Nachdenken an, freue mich über weitere Texte von Dir.
Cora says
Danke für den wichtigen Denkanstoß! Ich freue mich sehr auf die nächsten Texte.
Julia says
Der Beitrag hat mich zum nachdenken angeregt und ich muss (leider) sagen, du hast Recht mit dem was du schreibst. Möchte mein Online Verhalten in Zukunft auch minimieren und mehr hinterfragen.
Danke für den Anstoß!
Katharina says
Wahnsinnig toll geschriebener Beitrag mit einer wichtigen Message. Bringt mich sehr zum Nachdenken. Ich freu mich unglaublich wieder etwas von dir zu lesen!
Yessica says
Schön wieder von Dir zu hören :)
Absolut wahre Worte. Ich schaue schon auch täglich rein, aber manchmal ist mir die Flut dort zu viel, dann bin ich direkt wieder raus; muss dringend die Abos aussortieren.
Liebe Grüße aus Hamburg,
Yessica
Violetta says
Ich liebe deine reflektiere Art zu schreiben und zu denken – egal ob in deinen Büchern oder jetzt in deiner Kolumne! Du hast völlig recht und ich habe das Gefühlt es geht einigen so wie du es beschreibst.. ich selbst erschrecke mich, wenn ich meine Bildschirmzeit von 4-5 Stunden sehe und wundere mich dann, dass ich so lange brauche um ein Buch fertig zu lesen oder mein Fotoalbum fertig zu bekleben … freue mich mehr von dir zu lesen!
Nadine says
Liebe Luise,
schön von dir zu lesen ❤️.
Ein wunderbarer Text mit einem sehr wichtigen Thema bei dem man sich selbst nur zu gut ertappt. Mal eben kurz aufs Handy schauen und schon verliert man sich wieder..
Alles Liebe für dich. Liebe Grüße Nadine
Maria says
Stimmt, wir sind viel zu oft am Handy und vergessen dabei die Welt um uns herum. Bei Events ist jeder damit beschäftigt alles bildlich festzuhalten anstatt sich mich gleichgesinnten auszutauschen. Oder man verbringt Zeit damit, seinem Gegenüber zu zeigen, was man so im Netz gefunden hat.
Ein seltsames Leben….
Ich freue mich sehr von dir zu lesen ♥️
Liebe Grüße
Maria
Lena says
Schön wieder etwas von dir zu hören oder vielmehr zu lesen :) Freue mich schon auf weitere Texte!
Maria - Louise says
Ich glaube, genau deine Worte habe ich gerade gebraucht, obwohl ich es eigentlich vorher schon wusste. Danke. ❤️
Bine says
Sehr treffende und schön geschriebene Worte von dir. Ich habe dein Buch so gerne gelesen und freue mich jetzt weitere Texte von dir lesen zu können. Worte mit Verstand und Hintergrund – Worte die zum Nachdenken anregen! :)
Lena says
Ich mache seit einigen Wochen auch mal wieder eine Instagram-Pause. Ich habe in den letzten zwei Jahren immer wieder einen Detox gemacht und es war eigentlich jedes Mal so, dass es mir je länger ich es nicht mehr genutzt habe, immer weniger gefehlt hat. Man kann super ohne leben, auch wenn man vielleicht vorher nicht glauben konnte. Den Account ganz zu löschen, habe ich aber trotzdem noch nicht übers Herz gebracht. Wie du ja auch beschrieben hast, hat es ja auch seine gute Seiten… es ist und bleibt eine Hass-Liebe :)