“Warte kurz, die Verbindung ist gerade noch zu wacklig … so, jetzt habe ich dich. Hi.” Meine Freundin neben mir lacht in die Videoübertragung auf ihrem Telefon. Wir sitzen auf ihrem Balkon in Berlin-Friedrichshain, eingewickelt in dicke Decken. Zweiter Lockdown. Maximal zwei Haushalte gleichzeitig. Die dritte im Bunde haben wir per Videocall zugeschaltet — aber sie ist eh gerade in häuslicher Quarantäne. Nachdem Silvie ihr Online-Date Max zum Spazieren getroffen hatte, wurde er ein paar Tage später positiv auf covid-19 getestet.
“War das Date denn wenigstens schön?”, erkundigt sich Maja neben mir. Aus dem Telefon kommt nur ein Schnaufen. Über uns wackelt eine Lichterkette im kalten Novemberwind. Meine Hände wärme ich mir am mitgebrachten Glühwein.
“Das ist ja das Schlimme. Kennst du diese Menschen, denen man alles aus der Nase ziehen muss, und die nichts von selbst fragen, keine Anstalten machen, einfach so etwas zu erzählen? Es war, ungelogen, der mühseligste Spaziergang meines Lebens. Nicht mal ein gutes Date gehabt, und dann zwei Wochen dafür zu Hause hocken. Das hat sich dann ja richtig gelohnt.” Sie rollt dramatisch mit den Augen. “Die Frau vom Gesundheitsamt hat gelacht, als sie mich angerufen hat. Scheinbar hat sie schon jede Menge Dates vor mir angerufen. Max’ Liste muss lang gewesen sein.”

"Lächelnde Augen über einer Maske sieht man
nur, wenn man wirklich genau hinsieht."
Dating in Pandemiezeiten verändert sich. Man muss vorsichtiger sein. Genauer auswählen, wenn man kennenlernen will. Welches Treffen sich lohnt. Den Kontaktkreis kleinhalten. Ein Spagat zwischen Sozialleben und Risiko. Gleichzeitig ist es für die mentale Gesundheit aber auch wichtig, unter Menschen zu sein. Umarmungen, Berührungen, Nähe, Gespräche.
Der zweite Lockdown schlägt härter ein, als der erste, so mein Gefühl. Während wir im März und April noch Bananenbrote backten, für die Großeltern mit einkaufen gingen, viele das Zuhausebleiben beschwingt als eine neue Aufgabe fürs Gemeinwohl sahen, dem vielleicht sogar etwas Entschleunigendes abgewinnen konnten, und noch nicht zu sehr die negativen Folgen spürten, nervt die zweite Runde #stayhome inzwischen einfach nur noch.
Wir leben auf einmal distanzierter, geben uns zur Begrüßung nicht mehr die Hand, bleiben in 1,50 Metern Abstand umeinander stehen, Masken verbergen einen Großteil des eigenen Gesichts. Wir turnen Homeworkouts, statt uns im wöchentlichen Bootcamp-Kurs zu begegnen, statt Seite an Seite zu schwitzen, tun wir das nur für uns. Oder gar nicht. Liebe auf Distanz. Aber haben uns wir deswegen auch menschlich entfremdet?
Vielleicht. In der großen Masse. Vielleicht gar nicht. Im engen Kreis. Ich, für mich persönlich, habe das Gefühl, dass ich mit den Menschen um mich herum näher zusammengerückt bin. Weniger, dafür engere Kontakte. Wenn ich mich mit Freundinnen unterhalte (und ich sauge die Stories von anderen auf wie ein Schwamm!), lerne ich: Dating in Zeiten des Lockdowns ist langsamer und mehr auf die tatsächlichen Bedürfnisse fokussiert. Ehrlicher. Eher Tageslicht als betrunken und nachts. Sich gegenseitig Playlists zu erstellen, während man den Videocall laufen hat, zusammen kochen und essen, joggen, frische Luft.
Den Alltag teilen, weil man
nicht daraus abhauen kann.
Ein Jahr, das wir uns so nicht gewünscht haben, aber das eben da ist. Also passen wir uns an eine neue Realität an, und hoffen trotzdem, dass diese bald wieder vorbei ist. Denn: Es ist völlig in Ordnung, das beste aus dieser Situation zu machen und dieses Jahr trotzdem scheiße finden zu dürfen. Sich in die alte Normalität zurückzusehnen. Aber dennoch eben kreativ zu überlegen, wie aus dem Jetzt eine schöne Zeit gemacht werden kann. Weil welche Option wäre es, einfach nur stumm abzuwarten?

“Ich bin auch in Dating Quarantäne”, erzählt mir eine andere Freundin ein paar Tage darauf. Ich gehe zu Fuß alleine an der Spree entlang, habe meine Kopfhörer eingestöpselt und sie auf den Ohren. “Nur heißt das bei mir, dass ich einfach bis 2021 nicht date. Man kann ja nichts unternehmen. Dieses Jahr, also echt. Was soll da schon noch Gutes passieren?”
“Man kann doch auch beim Spazieren mit Abstand daten”, schlage ich ihr vor, bevor mir wieder Silvie und Max einfallen. “Oder eben erstmal digital. Vielleicht verändert sich unsere Welt und vielleicht müssen wir da mitgehen. Vielleicht sind Vorab-Videocalls das neue spontane Bier am Späti?”
“Oder”, sage ich, als wäre es mir wie eine völlig neue Erkenntnis gerade in den Sinn gekommen, “oder wir daten uns alle stattdessen mal viel intensiver selbst. Risikofrei und schön obendrein.” Ich lächele. Die Spree glitzert ein bisschen in der Dunkelheit. Vielleicht bilde ich mir das aber auch einfach nur ein.
Nessie says
Wow, sich selbst daten. Klingt auch super spannend, aber “leider” hab ich das schon unbewusst im Sommer gemacht und mich komplett neu kennengelernt.
Schöner Artikel :)
Elisa says
So schön ich liebe deine Texte 🤩❤️
Lg aus Wien !
Feli says
Wunderbarer Text, wie immer eigentlich. 🥰
Pia says
Dating erscheint jetzt so viel schwerer. Im Sommer habe ich gern gedatet, wollte was erleben. Vor einem Monat hatte ich dann ein letztes Date und eine Woche danach kam dann der Lockdown Light. Ich habe Tinder zwar immer noch auf dem Handy, aber ich frage mich momentan wozu das Ganze.
Klar möchte man jemanden kennenlernen, wenn man so keine neuen Personen kennenlernt, aber momentan brauche ich es nicht, denn ich komme gut mit mir alleine klar. :)
Marie Luise Ritter says
Ist doch super, mal eine Weile nur dich selbst zu daten. Mehr muss doch gar nicht immer sein. :)