Disclaimer: Inhalte und Gespräche der Kolumne, vor allem in Bezug auf Dating, sind unter Umständen vor der Corona-Pandemie oder vor dem zweiten Lockdown entstanden. Aktuell gilt es, die Kontakte klein zu halten. Stay safe!
“Lui, was würdest du denn machen?”
“Wie, was würde ich machen?” Ich war kurz mit meinen Gedanken zu dem Sonnenuntergang abgeschweift, der sich in orange-roten Schlieren allmählich über dem Wasser anbahnte. Wir stiefeln mit Distanz und unseren Thermoskannen um einen nahegelegenen See, in dem wir im Sommer jedes Wochenende schwimmen waren. So oft es geht versuchen wir in die umliegende Natur zu flüchten: Auch das ist Großstadt. Sand und Steine knirschen unter unseren langsamen Schritten, eine Schwanfamilie beobachtet argwöhnisch, wie wir uns langsam weiter entfernen. Außer uns steht nur ein Angler in weiten Gummistiefeln knietief im Wasser. Sonst ist hier niemand zu sehen.
“Naja, soll ich ihm noch einmal schreiben und was vorschlagen, oder nicht?”
“Was kam nochmal zuletzt? Zeig mal her.” Ich versuche aus der Distanz die Konversation auf ihrem Smartphone mit meinen Augen scharfzustellen. Ich sollte meine Brille wirklich öfter tragen.
“Ich habe zuletzt geschrieben und gefragt, ob er am Wochenende was geplant hat. Was ja basically heißt, ob wir uns sehen wollen. Darauf kam nichts zurück. Vorher auch schon kaum.”
“Also ‘basically’ hättest du aber auch schreiben können: Hallo, wollen wir uns sehen. Klare Kommunikation, sag, was du meinst. Und: Keine Antwort ist leider auch ne Antwort. Ich würde nicht hinterherlaufen, wenn so wenig zurückkommt. Ich würde den Chat archivieren …”, sage ich vorsichtig.
“Was bedeutet denn, wenn er mir nach vier Tagen immer noch nicht geantwortet hat?”
“Naja, sein Handy wird er nicht verloren haben …”
Sie sieht mich traurig an. “Bedeutet das … ghostet er mich gerade etwa?”
Es gibt eine Szene in Sex and the City, in der Carrie sagt: “I don’t need therapy, I have you guys!” Und Samantha antwortet: “We are as fucked up as you are. It’s like the blind leading the blind.” So fühle ich mich manchmal, wenn mich Freundinnen nach Dating-Ratschlägen fragen. Denn: Was bei einem selbst funktioniert, was einen selbst glücklich macht, muss bei anderen nicht zwingend dasselbe auslösen. Und doch macht es Sinn, um Rat zu fragen, weil andere vielleicht Zusammenhänge sehen, die uns bei uns selbst verborgen bleiben. Einfach weil sie die Perspektive eines Außenstehenden haben, den nötigen Abstand, und das große Ganze betrachten können, statt sich in den Details zu verlieren. Deswegen: Ja, es hilft sehr, sich auszutauschen.
Und: Ich liebe Datingstories. Was für den anderen ein gutes Stück Kuchen ist, ist bei mir, eine Datingstory noch warm serviert zu bekommen. Klar, alle meine Freund*innen haben diese Aktivitäten während der Pandemie zwar auch stark eingeschränkt, aber trotzdem gab es hier und da nochmal ein witziges Treffen oder eine merkwürdige Konversation. Nicht zuletzt interessiert mich das Thema so sehr, dass ich zwei Bücher über Dating, Liebe, Kennenlernen und alles dazwischen geschrieben habe.
Ich würde behaupten, dass ich zu jeder Frage den passenden Ratschlag vorrätig habe. (Ich bin davon sehr überzeugt, weil ich denke, dass jede*r in jeder Situation des eigenen Lebens die richtige Lösung tief in sich drin parat hat, immer. Aber das ist eine andere Sache.) Man muss nur ehrlich zu sich selbst sein — und das große Ganze betrachten.
Stop choosing what isn’t choosing you & trust the process. It’s about the journey, not the destination.
“Ja, scheinbar ‘ghostet’ er dich. Das ist nicht cool. Aber scheinbar wollt ihr einfach unterschiedliche Dinge. Und das zumindest ist doch völlig okay.”
“Wie kann das okay sein?”
“Wie kann es das nicht?” Ich pausiere kurz und konzentriere mich aufs Gehen durch das kurze Stück Wald, das sich vor uns erstreckt. Die Dämmerung hüllt uns ein. “Ich glaube, es ist ein Geschenk, im richtigen Moment jemandem zu begegnen der sich in einer ähnlichen Lebensphase befindet wie man selbst. Daher muss es zwingend auch okay sein, wenn es eben nicht so ist. Dafür muss sich mein Gegenüber nicht mal genau erklären. Ich weiß trotzdem, woran ich bin. Ich muss ja nur hinsehen. Also wirklich hinsehen.” Habe ich auch nicht immer gemacht. “Und ehrlich zu mir sein, was ich da sehe, also es mir eingestehen. Das Problem ist, dass wir uns anderer Leute Verhalten zurecht erklären und es entschuldigen. Wenn man will, findet man immer eine Ausrede, warum jemand so oder so reagiert hat. Aber ne, dafür haben wir zu viel Größe, weißt du? Dafür ist meine Zeit in jedem Sinne zu kostbar. Zumindest, wenn ich eigentlich etwas ganz ganz anderes will.
Alles, was ich tun kann, ist so klar zu sein, wie es mir möglich ist. Das heißt: Ich sage, was ich meine. In jedem Moment. Und ich erkenne auch klar, wie es ankommt und gespiegelt wird. Nenn es Wellenlänge, Vibe, oder wie auch immer. Wenn ich mir Erklärungen finden muss, damit es weiterhin für mich passt, dann passt es höchstwahrscheinlich nicht. Und das ist das wirklich Harte daran.
Denn: Mit sich selbst konsequent sein tut weh. Mir auch. Weil man dabei ja auch die positiven Seiten und möglicherweise schönen Momente mit der Person rauskürzt …”
Sie schweigt und ich bemerke, wie schwer sie meine Worte nimmt. Also rede ich weiter. “Wenn du mich nach meinem generellen, ehrlichen Rat fragst, dann würde ich sagen:
Lass los, was nicht bei dir bleiben will.
Ablehnung ist nichts Persönliches und hat nichts mit dir als Menschen zu tun.
Ignorier nicht, was du in deinem Herzen eigentlich weißt.
Schau nicht nur darauf was Menschen sagen, sondern was sie tun,
und noch wichtiger: Wie sie dich fühlen lassen.
Setz dich mit deinem Scheiß auseinander und räum vor deiner Tür auf.
Sag genau das, was du meinst.
Es geht um den Weg, nicht um das Ziel. Und ums Genießen.
Und sei nicht so hart zu dir. Du machst das großartig. Alles.”
Vielleicht sage ich das nicht nur zu ihr.
Vielleicht sage ich das vor allem auch zu mir.
“Weißt du was. Du hast recht. Und ich frag dich nie wieder nach Dating Tipps. Weil die sind ja mal echt blöd.” Sie verzieht ihr Gesicht zu einer Grimasse.
“Die sind einfach nur super.“
“Danke. Danke dafür.” Wir grinsen uns an. Der bunte Schleier am Himmel hat sich zu blauer Dunkelheit gewandelt. In ein paar Minuten werden wir uns zurück in meinen Bulli setzen und den Rückweg in die Stadt antreten, eingehüllt von bunten Lichtern, uns an der U-Bahn-Station verabschieden, ich werde parken und die siebzig Quadratmeter Altbau aufschließen. Aber für diesen Moment bleiben wir noch hier, und atmen die Stille ein. Ich würde gerade nirgendwo anders sein wollen.
Jasmin says
Liebe Luise,
Deine Texte berühren mich immer wieder. Ein Grund warum ich auch deine beiden Bücher verschlungen habe. Im Moment bin ich seit 9 Monaten in einer komplizierten On-Off Geschichte mit einem Mann der so voller eigener Probleme mit sich, seinem Selbstbewusstsein und Depressionen ist, dass mir deine Texte irgendwie noch mehr helfen. Ich kann niemandem helfen, der sich selbst nicht helfen kann. Auch wenn es schrecklich ist, weil er so ein toller Mensch ist. Aber das entschuldigt nicht, wenn er sich in sein Loch zurückzieht und mich verletzt zurücklässt.
Ich hoffe, dass es in naher Zukunft einfacher wird für ihn mit seinen Problemen klarzukommen und für mich ohne ihn zu leben.
Ich danke dir für deine Texte und deine inspirierenden Art und wünsche dir wundervolle Feiertage 🤍
Marie Luise Ritter says
Ich sende dir ganz viel Stärke, Kraft und Liebe ❤️
Simone says
So wahr ❤️
Lalka says
Danke Luise. Seit 9 Jahren bin ich in einer Beziehung und erkenne immer mehr dass es ein Ende haben muss. Trotz allem wofür ich gekämpft habe und wie sehr ich gelitten habe. Es tut weh, aber es muss sein über kurz oder lang.
Carlota says
Danke für deine Texte Luise!🧡
Dieser Text kam genau zur richtigen Zeit heute und berührt mich mitten im Herzen. Danke!
Julia says
Ein wunderbarer Text, vor allem der Abschitt: ” Lass los, was nicht bei dir bleiben will”
Es stimmt alles und doch ist es sau schwer. Ich hab es gemacht und ja es tut weh. Aber mit jedem Tag wird es besser. Es gibt nämlich tolle Menschen im Leben die jede Lebenslage begleiten und das wird einem dann wunderbar bewusst!
Danke für diesen Text und das Mut machen!♡
Julia says
Liebe Luise,
gerührt…ja das bin ich. Die Worte, die du nieder schreibst. Dein Schreibtistil. Ich sauge es auf. So schwer, so leicht.
Deine Bücher sind meine Liebsten und das, obwohl ich weder gerne lese, noch schreibe.
Dieser Blogpost trifft es!!!
Danke dir dafür.
Wünsche dir und deinen Liebesmenschen wundervolle Feiertage!
Von Herzen
Julia
Alex says
so schön geschrieben, da bekomm ich direkt lust auf ein 3. buch 😌
also gerne mehr davon 🤍
Nadine says
Mir selbst ging es die letzten 10 Jahre immer wieder so mit dem Dating und den Männern und ich wollte einfach nicht wahrhaben, dass es nicht passen kann und die Männer sich einfach nicht mehr melden.
Aber du hast recht Luise – es ist wirklich ein Geschenk jemanden im richtigen Moment zu begegnen, der sich in einer ähnlichen Lebensphase befindet wie man sich.
So habe ich im Sommer 2019 meinen jetztigen Freund kennengelernt. Nach einem halben Jahr, unzähligen Telefonaten und Nachrichten und 3 Treffen zwischen Berlin und Stuttgart sind wir nun fast ein Jahr zusammen und ich werde im Laufe 2021 für ihn meine Heimat verlassen und nach Berlin ziehen.
Ich hoffe, dass ich mit deinem Text meiner Freundin wieder neuen Mut machen kann. Ich motiviere sie immer wieder nach einem missglückten Date nicht aufzugeben, weil ich ja selbst weiß wie es ist und das man sein Glück findet.. irgendwann..
Anonymous says
Liebe Luise,
vielen Dank für diesen Einblick und Deine Gedanken. Den Begriff “ghosting” kannte ich noch nicht.
Ehrlich zu sich und den anderen zu sein ist eine große Herausforderung. Es ist eine gute Freundschaft,
wenn es gelingt.
Bettina
Ann-Christin says
Liebe Luise,
ich habe erst kürzlich jemanden losgelassen, der mich so hat fühlen lassen. Und trotzdem oder gerade deshalb sind deine Worte genau das, was ich gerade brauchte, um mich daran zu erinnern, dass es auch immer wieder darum geht, sich neu für sich zu entscheiden und die innere Stimme nicht verstummen zu lassen.
Danke ❤️
Ann-Christin