Es gibt eine Szene in der Serie How I met your mother, in der Lily und Marshall, frisch Eltern geworden, Ted irgendwo in New York bitten, ihnen nur noch von den Frauen zu erzählen, die eine Acht oder höher sind. Sie nicht mehr mit jede seiner Dating Geschichten “zu belästigen”.
Meine Freundin Marlene hatte zu mir mal etwas Ähnliches gesagt. Dass sie nicht von jedem hören will, egal ob One-Night-Stand oder einem Fremden, der in der Bahn kurz gelächelt hat, sondern nur von dem, was wirklich erzählenswert ist. Also alles mit Aussicht auf ‘langfristig’. Das hieß: Alles mit Aussicht auf eine Beziehung. Alles, was blieb, was auch für ihr Leben eine merkenswerte Relevanz und reale Überschneidungspunkte ergeben könnte, statt nur eine Geschichte zu sein.
Und ich fragte mich schon damals: Wer entscheidet, was erzählenswert ist und was nicht? Wem wir vertrauen lernen. Müsste ich dann so lange meine Freude für mich behalten, bis ich mir sicher war? Und war es wirklich die voraussichtliche Länge, die das Label ‘erzählenswert’ verdiente – oder nicht doch eher die Tiefe und Intensität, die persönliche Bedeutung, die es für uns hatte?
Ich liebe Alltagsgeschichten, und ich liebe es, sie von meinen Freundinnen erzählt zu bekommen. Egal ob ‘mich hat jemand im Bus angelächelt’ oder ‘ich bin im Supermarkt in jemanden reingerannt, und dann haben wir uns zehn Minuten wirklich nett unterhalten’ oder ‘ich habe auf der Parkbank einen netten älteren Herrn kennengelernt’. Habe ich schon in meiner Kolumne Dating Tipps an Freunde erwähnt. Vor allem liebe ich es, wenn eine Freundin mir von einer Begegnung erzählt, und ihre Augen dabei leuchten, weil es ihren Tag ein Stück bunter gemacht hat. Nicht jede:r tut das.
“Ich kann dein ganzes Drama nicht mehr ertragen, das ist mir echt zu viel, dieses ganze Hin und Her mit den Männern!” sagte letztens eine Freundin zur anderen. “Immer, wenn du den Mund aufmachst, redest du von irgendeinem Mann. Ist das alles? Hast du nichts anderes, was dich beschäftigt?”
Wir schnappten kollektiv nach Luft – und blieben still.
Manch eine:r, die:der sich in einer anderen Lebensrealität befindet, eine eigene Familie hat, verliert den Blick für die Details, die mal irgendwann auch das eigene Leben ausgemalt haben. Und damit auch den Blick für den Alltag der eigenen Freunde. Der strudelt an Namen und Begegnungen, findet Probleme und Erzählungen plötzlich belanglos, austauschbar. Dem fehlt die Vorstellungskraft, für dieses Leben, das sogar dem eigenen mal glich, aber sich inzwischen so weit weg anfühlt. Und vor lauter eigenem Alltag und eigenen Hürden – die sich größer und echter anfühlen – fehlt die Vorstellungskraft, sich in die andere Person noch rein zu versetzen. Erzählungen rauschen dann wie ein unscharfer Strom aus Nichtigkeiten an einem vorbei. Und manchmal war es nicht mal die andere Lebensrealität, sondern vielleicht exakt genau die gleiche, die zu so einer Aussage führte. Weil man selbst zu tief drinsteckte.
Ich grübelte lange darüber nach. Aufregendes belanglos zu finden klang für mich zynisch. War es okay, den Alltag und die Realität eines Freundes so für sich vorzusortieren, wie Lily und Marshall? Sich rauszupicken, was okay war – und was zu viel war? Manches gut zu finden und anderes als unnötiges Drama abzustempeln? Ich fand es schwierig, weil es auch sagt: “Du bist zu viel für mich und ich kann mir nur einen Teil davon geben.” Weil es Freund:innen den Raum nahm, Fehler machen zu dürfen. Nur Höhen zu erleben konnte man sich ja auch in seinem eigenen Leben nicht aussuchen.
Vielleicht gab es einen Zwischenweg. Ich glaube, es war okay in einer Freundschaft zu sagen, wenn man ein Thema gerade nicht mehr verkraften konnte. Sich in seinen Leben auseinander zu leben, und trotzdem Teil voneinander zu bleiben. Auch wenn man andere Entscheidungen treffen oder sich mit anderen Themen beschäftigen würde. Und immer: liebevoll und sanft.
Vielleicht war es auch einfach nur der Ton, der die Musik machte. Vielleicht musste in einer tatsächlich echten Freundschaft jedes Gefühl existieren dürfen – solange man nur ehrlich war. Wie: “Ich habe das Gefühl, du hast da Sachen in deinem Leben, die dir wirklich nicht gut tun.” Oder: “Ich habe gerade wenig Energie übrig, und es tut mir leid, dass ich nicht genug darauf eingehen kann, was du durchmachst.” Oder: “Aufgrund deiner vielen, aufregend klingenden Geschichten merke ich, was ich gerade nicht habe.” Denn meistens sagte das, was uns an anderen störte und auffiel auch viel darüber aus, womit wir selbst gerade zu kämpfen hatten.
“Ich meinte damit eigentlich”, sagt sie ein paar Wochen später, “dass wir doch so viel mehr sind als das. Wir sind wir. Also, was habt ihr erlebt? Nur ihr ganz alleine? Ohne diesen Männer-Lärm und die neuste kurzweilige Story.” Sie räuspert sich. “Du bist mehr als diese endlosen Geschichten”, sagt sie zu meiner Freundin neben mir.
“Also ich habe endlich angefangen mir etwas auf meinem neuen E-Piano beizubringen”, erzähle ich, um die sich bereits wieder aufbauende Spannung zu brechen. “Habe ich ja letztens zum Geburtstag bekommen. Und an meiner Uni nachgefragt, ob sie mir einen Spanisch-Kurs als Credits anrechnen, weil mir ja noch dreißig aus meinem Bachelor fehlen. Hätte ich mal ein Nebenfach damals gemacht … Davon abgesehen versuche ich gerade einfach nicht den Kopf zu verlieren zwischen Jobs und Uni und einem Social Life, das im Lockdown ja gerade so anders ist, als normal.”
Wir tauschen uns aus. Natürlich sind wir viel mehr als das.
“Aber, weißt du …”, sage ich dann noch. “Ich finde es richtig, darauf hinzuweisen, dass wir alle mehr Themen noch haben, unsere eigenen Meilensteine zu feiern, Gefühle zu teilen. Aber genauso, sich nicht abgekapselt vom Rest der Welt zu empfinden. Wir stehen mit den Menschen um uns in Beziehungen, egal wie diese aussehen und gestaltet sind. Wir beeinflussen und leiten uns alle gegenseitig. Und man muss nicht ohne schöne Begegnungen sein, ohne Erzählungen über diese, und sie sind für mich auch kein Lärm. Ich finde sie eine Bereicherung.”
Deswegen höre ich zu, jedes einzelne Detail, jeden Namen, jede Begegnung. Ich schenke ihr meine ganze Aufmerksamkeit. Das erfordert all meine Konzentration. Aber: Ich mag es diese Geschichten zu hören, Freude zu teilen. “Danke, dass ich meinen ganzen Stress gerade mal kurz bei dir abladen durfte”, sagt sie. “Ich weiß, dass ich gerade schwer bin.”
“Die Zeiten gerade sind schwer. Aber du bist du und davon will ich hören.”
Wir laufen durch die Sonne. Bei fast elf Grad. Am Ende umarmen wir uns fest. Der Frühling kommt gerade, taucht schon durch die ehemals kalten Straßenzüge des Kiezes. Der Nebel ist weg. Und macht Platz für all die Geschichten, die geschrieben – und erzählt werden wollen.
Lisa says
Wieder ein Mal sehr schön geschrieben, vielen lieben Dank für diesen Sonntags-Schmankerl.
Misha says
“Die Zeiten gerade sind schwer. Aber du bist du und davon will ich hören.”
<3
Danke für eine weitere, tolle Kolumne. Bester Start in den Tag. Danke!
Lena says
Ein wirklich wieder ganz toller Beitrag, danke dafür. Und egal ob man selbst die Erfahrung schon gemacht hat oder sogar aktuell genau in solch einer Situation steckt,… regt es zum nachdenken und „in andere reinfühlen“ an.
Juli says
Sehr schöner Text, dem ich voll zustimmen kann. :)
Oft sagen diese kleinen Geschichten viel mehr über uns aus, als die großen. Und sie befreien vom Alltag, der ja oft durchzogen von Corona und damit verbundener Schwere ist.
Mir selbst ist es allerdings in einer Freundschaft andersherum ergangen: es gab nur noch Oberflächliches, sobald das Gespräch Tiefe bekam, wurde das Thema gewechselt oder das Gespräch endete.
Wie du schon sagst, sollte es da einen Ausgleich geben. Die Leichtigkeit, die dich gerade lächeln lässt, hat die gleiche Berechtigung wie das Tiefe, Bedeutsame.
Marie Luise Ritter says
Interessanter Gedanke, vielen Dank für diese “andere Perspektive”. Balance ist denke ich immer das Stichwort.
Judith says
Oh ich liebe es mal wieder. Die Worte die du findest, treffen es immer auf den Punkt.
Laura says
Dieses Thema hat mich in den letzten Monaten auch beschäftigt. Zwar hat mir keine Freundin gesagt, dass sie meine Dating Geschichten nicht mehr hören möchte, ich habe eher die Erfahrung gemacht, dass ich mich selbst schäme diese zu erzählen bzw. sie zurück halte, weil ich denke sie sind nicht erzählenswert bzw. noch nicht erzählenswert. Danke für den tollen Text, er hat mich zum nachdenken und umdenken angeregt :)