Ich sitze an der langen Dinner-Tafel auf der Terrasse und beobachte Rosa, die uns, ohne ihre Miene zu verziehen, die Teller mit Reis, Bohnen, gebackenen Platanos und Gemüse reicht. Meine Haare hängen nass und salzgetränkt auf meinem Rücken runter. Über uns leuchten Lichterketten, ein leichter Wind zieht durch die großen Palmen und die Dunkelheit hier im Garten. Reihum blicke ich in glückliche, ausgelaugte Gesichter. Fast jeder hier hat den Morgen beim Yoga und den Nachmittag auf dem Bord verbracht, sich liegend durch die Wellen gepaddelt, auf der Suche nach der richtigen.
„Für jeden von uns gibt es die richtige Welle. Nur weil du die jetzt nicht gekriegt hast, heißt das nicht, dass die nächste nicht vielleicht deine ist“, hatte Martin im Wasser zu mir gesagt. Ich war entmutigt, hatte zu viel Salzwasser geschluckt, meine Augen brannten höllisch hier draußen im Pazifik. Ich sah ihn an, er grinste, hielt mein Bord fest, zeigte auf eine anrollende Welle. Und ich beobachtete sie, legte mich hin, paddelte, und schaffte es, mich im richtigen Moment in sie zu stellen und kurz mit ihr mit zu gleiten.
Ich habe immer nur einen Plan für die nächsten zwei, drei Tage, und irgendetwas hatte mir gesagt, die Zelte an der Atlantikküste abzubrechen und weiter gen Süden und Richtung Pazifik zu reisen. Über ein paar Tage in El Salvador war ich inzwischen in Nicaragua in einem winzigen Dorf mit maximal fünf Straßen gelandet.
Ich bin müde, so gut kaputt, dass es sich anfühlt, als würde mir jeden Moment mein Kopf direkt in den weißen Plastikteller fallen. Und doch grinse ich, und alle um mich tun es mir gleich. Jeder Muskel tut weh. Wie die letzten Wochen und Monate aber doch ganz anders.
Es war mir schwer gefallen, mit der permanenten Erschöpfung Raum und Zeit für Bewegung zu finden. Long Covid war ein Zustand, der einem bei der kleinsten Anstrengung so ausgelaugt zurück ließ, dass man sich nur noch auf die allernötigste Bewegung konzentrierte, fast schon ängstlich, die eigene Energie zu schnell aufzubrauchen. Über Infusionen und Ruhe, einen gekündigten Job und Arbeit an meiner mentalen Gesundheit tat ich alles, was mir einfiel, um diesen Zustand zu ändern. Und ich beschloss, mich und das Schreiben meines neuen Buches einfach für eine Weile mal an andere Orte zu verlegen. Wir unterschätzen, was Vorfreude mit uns machen kann. Und vielleicht neige ich persönlich grundsätzlich dazu, mich zu überschätzen, aber das wischte ich beiseite. Es ging mir schon einiges besser, also trat ich den lange vorher gebuchten Flug an. Sicherlich, Sonne, frische Luft und Neues zu erleben heilten nicht chronische Erschöpfung und Panikattacken. Aber es konnte auch zumindest nicht schaden, aus einem Kreislauf mal auszubrechen. Und wenn doch, könnte ich ja immer wieder in meine warme Bubble aus Gewohnheit zurückkehren.
Ich versuchte einen Tauchgang und brach den zweiten dann ab, kletterte auf einen Vulkan hoch, schneller, als ich dachte, lief zwei und dann mal drei Kilometer und verbrachte einen ganzen Tag schlafend auf einer Strandliege. Ich war eine Stunde auf dem Surfbrett und schaffte es, drei oder vier Wellen wirklich gut zu stehen, ich krachte beim Yoga zusammen und fiel unsanft auf meinen Ellenbogen, weil meine Arme und mein Handgelenk im wild thing einfach unter mir nachgaben. Um am nächsten Tag wieder von vorne loszulegen. Oder mich auszuruhen. Aber mit einem ganz neuem Zugang dazu. Und immer mit der Sicherheit: Das wird alles wieder. Ich begann mir wieder mehr zuzutrauen.
Wir merken es, wenn wir körperlich aktiv waren: Plötzlich können wir alles fühlen. Die Muskeln in unseren hinteren Schienbeinen, kleine Muskeln in den Schultern, die Schulterblätter oder irgendwas dazwischen. Wir können auf einmal alles in uns so viel besser wahrnehmen und einordnen. Ein gutes Körpergefühl verbessert die eigene Intuition, die Resilienz gegen unvorhergesehene Situationen, das innere Urvertrauen und das Einfühlungsvermögen in andere. Man kann sprichwörtlich besser in sich hineinfühlen.
Ich war die letzten Wochen so aktiv, dass es mir erst bei diesem Abendessen auffiel, wie viel sich für mich schon geändert hatte. Wie glücklich ich mich in genau diesem Moment fühlte, über die Schmerzen in meinen Armen, meine schweren Augenlider, jedes Zeichen der Erschöpfung in meinem Körper. Es war eine sinnvolle Erschöpfung. Es gab mir das Gefühl, meinen Körper endlich mal wieder so richtig zu spüren, als hätte ich eine Verbindung wieder aufgenommen, die irgendwo unterwegs verloren gegangen war. Und weil ich merkte, dass es das war, was mich wirklich so frustriert hatte: Das Gefühl, meinen eigenen Körper nicht mehr zu spüren. Weil es bedeutete, sich selbst nicht mehr zu spüren. Und damit alles andere viel zu sehr.
Aylin says
Kämpfe gerade auch mit den Folgen von Covid und deine Erfahrungsberichte geben mir so viel Hoffnung. Du motivierst mich einfach aus meiner Bubble auszubrechen und meinen Genesungsprozess irgendwo am Wasser zu genießen.
Katja says
Danke für diesen Text ❤️