„Irgendwann wohne ich nochmal ein paar Monate irgendwo im Ausland am Meer“, sagte ich immer mal wieder zu immer mal unterschiedlichen Menschen, denen ich in jenem Moment eben gegenüber saß. Wir teilten Brot oder Sushi, Fünfjahrespläne oder Reisetipps, unsere tiefen Träume oder alberne Ideen, die uns in den Sinn gekommen waren.
Es ist so ein Satz den man so daher sagt, den sich viele bestimmt denken. Leben hier ist schön, aber mal irgendwann die Arbeit einpacken und sie von einem Strandort im Süden Portugals absolvieren? Nur für einen Monat vielleicht? Einen regnerischen Herbst in London verbringen? Einen Sommer in Südfrankreich, sich ein kleines Apartment mieten, in süßen Cafés sitzen und am ersten eigenen Roman schreiben, nette Menschen kennenlernen, abends alleine kochen. Es war etwas, was ich als „Traum“ abgespeichert hatte. Jeder hat seine eigenen. Meiner: Leben am Meer.
Es sind so Dinge, die man sagt, aber nicht anpackt, die man träumt, aber nie konkretisiert. Irgendwann … werde ich mir eine Auszeit nehmen, einen Bootsführerschein machen, werde ich ein Buch schreiben, eine Woche alleine reisen gehen, werde ich mich aus meiner unglücklichen Partnerschaft trennen und ausziehen, werde ich ein Landgut renovieren, eine weitere Ausbildung anfangen, eine Familie gründen, mich selbstständig machen, im Camper auf Europatour gehen oder einen Hund aus Griechenland adoptieren. Meist ist die Umsetzung eines Traums mit nichts mehr als Arbeit, Abschied oder Veränderung verbunden. Die Idee davon dagegen ist schön und warm, einfach nur davon zu erzählen und in romantischen Vorstellungen zu schwelgen, und manchmal ist allein das schon genug. Oder noch besser? Der Gedanke daran, dass man etwas tun könnte. Wenn man wollte. Aber nicht muss.
Dass man etwas tun könnte, also naja wenn es dann irgendwann mal zeitlich passt und nicht so viele Sachen anstehen, da war doch so ein Konzert auf das ich wollte, den Geburtstag darf ich nicht verpassen, ja na eigentlich gibt es keinen freien Slot in nächster Zeit. Na gut vielleicht muss es dann doch nicht sein.
Dass man etwas tun könnte, also wenn man sich dran setzt und alles organisiert eben, und diese lange ToDo-Liste voller nerviger Sachen abarbeitet, an die man vorher denken muss, Versicherungen, und Kram, und alles bespricht und abklärt und es dann losgehen kann, und wenn man Lust hat alles auszumisten, Recyclinghof, spenden, und dann den Rest irgendwie ins Auto packen und schleppen, schleppen, bis alles drin und die Wohnung leer und untervermietet ist. Also … eigentlich nicht.
(Sicher gibt es auch echte Gründe, die einen davon abhalten, bestimmte Träume in die Realität umzusetzen, finanzielle, berufliche, familiäre, gesundheitliche … ich überspitze hier nur und ziehe mich selbst damit etwas an meinem eigenen Beispiel auf.)
Es sind Träume, die man vor sich herschiebt in ein unkonkretes Irgendwann, das wie ein weiches, warmes Kissen in der Zukunft thront, wo es Leichtigkeit und Vorfreude bringt, sich einfach gut anfühlte, weil es da war, irgendwann da sein könnte, aber auch keine Schwierigkeiten bereit hielt. Wenn man nur träumte, konnte man die Schattenseiten, die es auch immer gab, einfach auslassen. So tat ich das mit meinem „Irgendwann wohne ich noch einmal paar Monate irgendwo im Ausland am Meer“. Vielleicht ist es sogar so, dass je öfter man es sagt, je unwahrscheinlicher wird es. Je länger man darüber redet, desto mehr wird es vielleicht einfach nur eine Erzählung bleiben. Eine schöne Erzählung. Und manchmal ist das völlig genug und genau richtig so. Nicht jeder Traum ist in der Realität genauso schön wie in der eigenen Vorstellung und oft mögen wir nur die Idee von etwas. Was sein könnte. Ich mochte dieses “Irgendwann …”. Aber ich hatte auch Lust auf die Realität.
Ich hatte keine Beziehung mehr, die mich an einen gebunden Ort hielt, niemanden konkret, bei dem ich gerade sein wollte. Ich hatte mich und meine Selbstständigkeit und den kleinen Hund, der seit sieben Jahren betont langsam und gelangweilt hinter mir her trottete. Ich war so frei, meist allein, einsam selten, aber manchmal auch das. Ich hatte einen schönen Sommer gehabt, ich hatte die Tage genossen, aber fühlte mich seit der Pandemie auch, als würde ich auf der Stelle treten. Keine Situation ändert sich, wenn ich sie nicht ändere. Deswegen beschloss ich – oder vielleicht beschloss ich es nicht einmal, es war einfach mit einem mal völlig klar, dass ich das jetzt tun würde – irgendwann, das ist genau jetzt.
Ich hatte diese Idee von einem Ort, dann ein paar Monate später diese andere, ich schob es in den Herbst, damit ich meine Masterkurse noch abschließen konnte und der Hund nicht in der Hitze zerlief, spontan, aber doch mit Verstand, und sobald der September vor der Tür stand, schrieb ich eine Liste und regelte alles in Windeseile. Meiner Erfahrung nach gehen große Aufgaben, wenn man sie denn erst einmal anpackt, oft leichter von der Hand als erwartet. Mich packt diese Vorfreude auf alles Unbekannte. Ich gehe noch einmal essen mit meinen Freundinnen und wische die Tränen weg, als ich aus meiner Parklücke ausparke und einen Blick in den Rückspiegel werfe, bevor ich losfahre. Lache und weine, bin glücklich und traurig zugleich.
Palmen begrüßen mich in der Dunkelheit, als ich an einem Dienstag Morgen im Schritttempo von der Fähre in den Hafen runterfahre und mein neues Viertel ansteuere. Wie ein neugieriges Kind laufe ich später am Tag durch die Straßen und kann nicht genug bekommen von diesem Leben, das ich noch nicht kenne. Das kleine Apartment ist im vierten Stock gelegen, mit einem kleinen Balkon und Ausblick auf den Sonnenaufgang. Ich würde jetzt für die nächsten Monate hier wohnen. Leben, nur einen kleinen Fußweg vom Meer entfernt. Irgendwann? Jetzt.
Ich nehme das als Auftakt für eine Kolumnenserie zu „Zuhause“. Fange in der Geschichte noch einmal ein bisschen weiter vorne an. Jeden Sonntag hier zehn Uhr für die nächsten Wochen. Deal?
Mein neues Buch „Vom Glück, allein zu sein“ erscheint 2023.
Sobald man es vorbestellen kann, verlinke ich es hier.
Elisabeth says
Liebe Luise, das klingt so schön dass ich Gänsehaut bekomme. Ich bin gerade auch an einem
Punkt an dem ich etwas tun möchte und von den Rahmenbedingungen auch kann was ich immer schon träume- und vielleicht inspirierst du mich.
Anonymous says
So viel Liebe für deine Worte und deine Art zu schreiben. So viel Motivation und ich freue mich sehr für dich!
Valerie says
Liebe Luise, wie immer schöne Worte für deinen Weg gefunden. Einen inspirierenden Start in Palma! :)
Sarah says
Beim lesen deines Textes habe ich ein dauerhaftes Grinsen im Gesicht, weil die Freude, deine Freude, in jeder Zeile zu spüren ist.
Freue mich nun sehr auf die kommenden Sonntage und dein baldiges neues Buch!
Amelie says
Eine wundervolle Kolumne, die ich zu einhundert Prozent fühle. Dieses irgendwann hieß bei mir immer „in zwei Jahren“. Irgendwann habe ich mir selbst kaum noch geglaubt. Immer gab es einen Grund nicht zu gehen. Im Nachhinein glaube ich, es waren Ausreden. Sie fühlten sich logisch an und der Schritt zu groß, nicht passend. Nach vielen Jahren träumen habe ich nun ebenfalls dieses Jahr meinen Traum verwirklicht. Ich bin mit meinem Partner auf Weltreise für unbestimmte Zeit und ja, es war nicht einfach! Die Liste der Vorbereitungen lang und der Abschied emotional. Es gab Zweifel und dennoch bin ich genau jetzt, in diesem Moment, so unendlich dankbar und stolz, dass das irgendwann einem „jetzt“ gewichen ist.
Ich freue mich auf deine weiteren Kolumnen und auf dein Buch!!
(Instagram: amelieandmarco)