„Bist du Berlinerin?“ Er schreit in mein Ohr. Das Licht schlägt in bunten Takten um uns herum, wirft rot und blau und orange und gelb um unsere Köpfe, die sich zueinander neigen. Ich rolle mit den Augen. Schon wieder diese dumme Frage.
„Klar“, ich sehe zu ihm hoch. Ein fremdes Gesicht, ein Bart, zwei relativ leere braune Augen.
„Also bist du echte Berlinerin?“ Er betont das Wort „echt“, als wäre es ein langgezogener Kaugummi in seinem Mund, den er aufpustet und um uns aufdehnt.
„Naja … nein“, platze ich seine Kaugummiblase. Ich führe nicht weiter aus woher ich „wirklich“ komme. Es ist ihm höchstwahrscheinlich eh egal.
„Also ich“, erhebt er seine Stimme und tippt mit seinem Zeigefinger auf seine Brust, „ich bin in Berlin geboren. Ich bin ein echter Berliner.“
„Cool“, entgegne ich gelangweilt und sehe mich in der Bar um. „Was kannst du damit machen? Ein Leben retten?“, Als ich sehe, dass er meinen Witz nicht lustig findet, füge ich freundlich und ohne es so zu meinen hinzu „ok, freut mich für dich.“ Ich bin wahrscheinlich einen Ticken zu genervt, zu unfreundlich für diese Situation. Sie ist mir einfach schon zu oft passiert. Diese Frage ist meine Schwachstelle, der langsame Autofahrer vor mir, quasi. Ungeduldig will ich einfach nur drumherum manövrieren. Es war als hätte er genau diesen einen Knopf bei mir gedrückt. Jeder hat so einen.
Ich betrachte die Menschen, zu denen ich anscheinend nicht dazugehörte. Gehören durfte. Keine echte Berlinerin, ist das was nach dem Abend zurückbleibt, als ich im Morgengrauen nach Hause laufe. Ich wurde noch nie irgendwo so oft gefragt, ob ich wirklich „echt“ aus der Stadt wäre, wie hier. Ich wurde es noch nie irgendwo sonst gefragt. Nicht mit dieser Betonung. Nicht ein einziges Mal in vier Jahren Hamburg antwortete jemand auf die Frage, dass ich aus Hamburg sei, da wohnte, mit der Gegenfrage: aber bist du wiiiirkliiiich Hamburgerin? Bist du hier geboren? Ich durfte es sein, egal woher ich kam. Ich gehörte dazu.
In Berlin dagegen: Nicht, niemals. Ich wusste nie genau, was ich davon halten sollte. War es ein ein Insider, wie ihn eben jede Stadt so hatte, oder schon Ausgrenzung? War ich einfach nur zu schnell genervt, oder war es wirklich grenzwertiger Lokalpatriotismus? Was triggerte es in mir? Es war ein Gag, auf den sich hier Geborene beriefen, der die Augen aufleuchten ließen, es war etwas, mit dem man angeben, mit dem man sich brüsten konnte. Nicht jeder, aber immer noch zu oft.
Ein Gag, der sich aber für Zugezogene, einfach aufgrund der Häufigkeit des Verneinen dann vielleicht doch so mit der eigenen Wahrnehmung verwurzelte, dass man sich am Ende trotzdem immer ein bisschen außenstehend fühlte. Zugezogene, irgendwie immer auch ein Schimpfwort, abwertend, geringschätzend. Ob man wollte, oder nicht. Es fühlte sich an, wie auf einer wirklich coolen Party nicht eingeladen zu sein. Wo gehört man dazu, wenn man nirgendwo dazugehören darf?
Nicht nur auf diesem Heimweg nach diesem Gespräch ließ es in mir die Frage nach Zuhause zurück. Wenn wir in einer freien Welt leben, warum kann dann nicht überall Zuhause sein? Warum darf ich nicht von hier sein, egal wie viele Jahre ich hier wohne? Mich verbindet nichts mehr mit meiner Heimatstadt, ich habe zwölf Jahre nicht mehr dort gelebt. Warum ist dann wichtig, woher ich komme? Wo ich geboren bin? Das kann ich mir ja nicht aussuchen – ist das nicht irgendwie völlig egal?
Zwanzig Minuten später schließe ich zu Hause meine Wohnungstür auf. Woher wir kommen, im Kopf gehe ich meine Nachbar*innen durch: Maura, geboren im Iran, Tyler, der um die Welt reiste, und sich ein paar Monate in die Wohnung neben mir eingemietet hatte, ich aus der Kleinstadt irgendwo tief im Osten. War das hier ihr Zuhause? Durfte es unser Zuhause sein?
„Echt? Ich seh das gar nicht so“, sagt eine Freundin zu mir, als ich ihr erzähle, wie sehr mich diese Berlinerin-Frage nervt. „Entspann dich mal. Die wollen doch nur Konversation betreiben. Oder ein bisschen nervig sein und sich cool fühlen. Warum kannst du da nicht drüber hinweg sehen? Mir ist das egal.“
„Wenn mich das das nächste Mal jemand fragt, schütte ich ihm meinen Drink ins Gesicht“, murmele ich.
Aber es lehrte mich auch: Wir wissen nie, was ein Spaß in anderen Menschen auslösen kann. Was das, worauf wir uns berufen, mit denen macht, die es ausschließt. Was unsere Heimat für die ist, die sie immer wieder als ihre beweisen müssen. Wie sehr es sich mit der eigenen Wahrnehmung verwurzeln kann, Fragen immer und immer wieder zu beantworten. Vielleicht war das das Beste, was ich daraus lernte, weil ich es am eigenen Beispiel erfuhr.
Vielleicht musste ich hier gar nicht unbedingt hingehören. Vielleicht konnte ich diesen Insider einfach einen sein lassen, ohne mich davon betroffen oder genervt zu fühlen. Meine Freundin hatte Recht. Letztlich ist es in mir, dass ich mich zugehörig fühle, mein Ding. Niemand schließt mich aus, wenn ich selbst es nicht insgeheim tue. Wollte ich überhaupt hier “hingehören”?
Wolfgang says
Lag es wirklich an der dummen Frage oder doch eher an den “zwei relativ leeren braunen Augen.”, dass Sie sich genervt fühlten? Anders gefragt, sagt ein Blick in so einer Situation mehr als Worte?