„Wie wäre es wohl, hier zu wohnen? Wie wäre es überhaupt irgendwo anders zu wohnen?“ Ich sitze neben Noah im Sand. Wir alberten herum, hatten uns ein leeres Haus am Strand als Mittelpunkt unserer Träume ausgesucht, meinten nichts davon ernst, aber trotzdem war alles real.
Ich konnte mir vorstellen, hier am Meer in Nicaragua zu leben und jeden Morgen mit den Wellen aufzustehen und surfen zu gehen. Zwanzig Meter durch den heißen Sand zu rennen und morgens als erstes die Füße in den Pazifischen Ozean zu tauchen. Mir ein Board zu schnappen, danach einen Kaffee im Schatten der riesigen Palmen zu trinken und durch das kleine Dorf zu spazieren. Hier zu schreiben. Es war Ende Januar und die Hitze lief mir in großen Tropfen über jeden Zentimeter meines Körpers.
Ich erzählte Noah von meiner letzten Beziehung, von Nick und von dem Dorfleben, was er sich aufbaute, und was ich genauso liebte wie das Leben in Berlin. Von der letzten Woche in Playa del Carmen, Mexiko, wie ich dort meine Tage genoss und jemanden traf, der für ein paar Monate dort lebte. Ich konnte genau nachfühlen, warum. In den letzten Wochen auf Reisen lernte ich Menschen kennen, die gar keinen festen Wohnsitz hatten, sondern sich alle paar Monate in einem anderen Land ein möbliertes Apartment mieteten. Die irgendwie überall waren: Lissabon, Panama-City, London, Paris. Ich war fasziniert von ihrer Freiheit, von allem, was sie dabei unterwegs erlebten und sahen, von Freundschaften, die sich nach ein paar Jahren solch eines Lebens wie ein Spinnennetz über den ganzen Kontinent zogen, und von ihrem Mut und ihrer Lust, überall neu anzufangen.
Wo ist Zuhause, wenn überall Zuhause sein kann?
Vielleicht gehörte ich auch nirgends fest hin. Es gab nicht einen Ort, ein Zuhause, das mich für immer für sich haben würde. Ich glaubte, ich gehörte überall hin. In die Scheune aufs Land, hier an den Strand in Nicaragua, in die Lachen und Umarmungen von Fremden, in die Nähe von Freunden. Ich fühlte mich überall wohl.
In völliger Stille aufzuwachen und mit den Rädern das Dorf entlang zum Fluss fahren, der sich dort um die Wiesen schlängelte, genauso zu anderer Zeit in der riesigen Stadt die ganze Nacht zu wummernden Bässen tanzen zu gehen oder neun Stunden Zeitverschiebung entfernt auf einem Surfbrett sitzend mein Kinn auf meine Knie abzulegen, während ich eine eiskalte Cola mit meiner linken Hand öffne, alleine oder mit Menschen zusammen, so wie jetzt gerade. Ich erfreue mich so sehr am Leben, dass ich überall die schönen Details sehe.
Zu Hause ist für mich keine Stadt, nicht mehr, sondern nur noch ein Gefühl. Zuhause, das kann dieses Jahr in Hamburg sein und nächstes Jahr ganz woanders. Oder vielleicht alles gleichzeitig. Ich habe gemerkt, dass ich mit Orten zwar Erinnerungen verbinde, sentimental werde – aber nirgendwo Wurzeln habe. Wurzeln sind Menschen, Zuhause sind Menschen, alles Gefühle, unabhängig einer Stadt, eines Hauses, eines Ortes. Zuhause können deine Arme sein, mein Pullover mit deinem Waschmittel oder die Wellen, die meine Füße im Sand versinken lassen. Zuhause sind Orte und Menschen, die ich noch nicht kenne, Zuhause ist ein Buch, das mich vollkommen in seinen Worten auffängt, der Himmel, dessen Blau sich von überall gleicht, Urlaub mit der Familie am anderen Ende des Landes, dieser Ferienort, in den wir seit meiner Kindheit fahren oder die Autobahn auf der linken Spur. Zuhause ist die Natur, dieser kleine schnarchende Hund, dieses weiche Hundefell, in das ich meinen Kopf vergrabe, und vor allem einfach du, denke ich. Keine Stadt. Zuhause ist überall. Und das ist gut so. Für mich.
„Meine beste Freundin aus Schulzeiten baut ein Haus in der Heimat, sie wollte immer nur dort sein, und ich sitze mit dir hier“, sage ich zu Noah und male mit meinem Zeigefinger Kreise in den heißen Sand.
„Und ihr macht beide das, was euch glücklich macht.“
Ich nicke. „Ja.“
Mehr zu dieser Geschichte gibt es im neuen Buch! 2023
„Vom Glück, allein zu sein“.
(Leider noch nicht vorbestellbar. :/)
Kim says
Tausend Dank für dieses schön Stück. Es könnte von mir sein, da ich mich genauso fühle wie du es beschreibst. Vielen Dank dass du das mit der Welt teilst. Es ist ein Thema das mich momentan sehr beschäftigt und es war grad genau das, was ich brauchte :)
Bernadette says
Ein wundervoller Text, der ganz viele Gefühle beschreibt die ich von mir kenne :) Fühle mich verstanden.
Liebe Grüße! Freue mich auf das Buch!