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KOLUMNE

Unterwegs

6 März 2022

Es war der sechste Morgen, an dem ich wieder in meiner eigenen Wohnung aufwachte. Oder zumindest irgendwann kurz vor dem Sonnenaufgang benommen aus meinem viel zu großen Bett heraus kraxelte. Der Rucksack lag auch sechs Tage später noch immer unausgepackt neben der Couch, dort, wo ich ihn an einem eisigen Abend der letzten Woche abgeworfen hatte. Sein Innenleben war auseinander gepflückt und leicht explodiert, die Basics lagen noch darin. Alles, was ich hier noch nicht gebraucht hatte. Ich war zu müde, um mich damit zu beschäftigen. Oder vielleicht im Kopf noch nicht so weit, dem Kapitel ein Ende zu setzen, korrigierte ich mich. Als würde ich die Erinnerungen vergessen, wenn ich zu schnell weitermachte. 

Benommen taumele ich ins Bad und kicke mit der Zehenspitze die Klamotten von gestern Abend weg, die ich achtlos auf dem Badezimmerboden abgelegt hatte. Ich fühlte mich im Kopf immer noch nicht wieder hier angekommen, in der Zwei-Zimmer-Wohnung mit den hohen Decken und den Altbaudielen, mit den vollgestopften Schubladen und den Briefen, die sich im Flur stapelten. Ich konnte nicht mehr schlafen, seit ich wieder hier war. Vielleicht weil in dieser Wohnung viel zu viel Zeug war, das sich gerade wie eine Last anfühlte. Vielleicht weil diese Wohnung seit einem Jahr diese Einsamkeit an ihren Tapeten trug, die ich in meinen Fieberträumen an sie geklebt hatte. Vielleicht weil sich das Unterwegssein zu gut anfühlte, um wieder stehen zu bleiben. Und zumindest so fühlte sich das Hiersein jetzt an. Einfach nur aufgrund des Kontrastes, den es darstellte. Vielleicht konnte ich auch nicht mehr schlafen, weil mein warmes Zuhause sich zu sicher, zu unverdient anfühlte, gerade, wo jeden Morgen die Nachrichtenticker aus der unmittelbaren Nähe von Explosionen berichteten. Dabei war die Welt doch schon immer so: Sektgläser knallen aneinander während anderswo Menschen … . Lassen wir das.

Vielleicht lag es auch einfach nur am Jetlag.

Ich hatte acht Wochen aus einem Handgepäckrucksack gelebt, dieselben Jeansshorts so lange getragen, bis an der Seite die Nähte nachgaben, hatte an Straßenständen gegessen, die immer gleichen Gespräche geführt und dann wieder so besondere, dass sie sich funkensprühend in meine Erinnerungen eingravierten. Ich hatte Orte verlassen und war wieder zurückgekehrt, hatte mir auf den Ladeflächen von Pick-Up-Trucks beim Trampen Sonnenbrand geholt und war von Moskitos zerstochen am Strand aufgewacht. Ich hatte fünf Länder gesehen – naja, Honduras nur aus dem abgedunkelten Fenster des Reisebusses, das zählte wohl nicht. Ich hatte dort wieder in meinem Körper das Gefühl von Zuhause gefunden, fand es in den herzlichen Lachen fremder Menschen, in bernsteinfarbenen Augen, im Einfachen, auf staubigen Straßen, an denen ich mich in den Dreck setzte und die Beine auf den Highway streckte, in Sprachen, die nicht meine waren, im Missverständnis. In allem, was nicht leicht war, was wir uns mit Händen und Füßen erklären mussten.

Ich hatte von dort an meinem nächsten Buch geschrieben, und es verging kein Tag, andem ich nicht dankbar für diesen Umstand war, dass ich mein Arbeitsleben mit mir mitnehmen und überall aufschlagen konnte. Meine Finger flogen über die Tasten, während ich Gespräche in fremden Sprachen hörte oder einen langen Tag voller neuer Sinneseindrücke hinter mir ließ. Hier angekommen, wollte ich am liebsten direkt wieder los, so sehr hatte ich das alles aufgesogen, so leer waren meine Speicher nach genau dieser Art Inspiration gewesen. Ich hatte mich, mehr als mir bewusst war, genau danach verzehrt. Nach dem Gefühl, lebendig zu sein. Glückselig, manche Tage sogar.

Wenn man sich betrunken vor Glück fühlen kann, ist man dann danach auch verkatert davon?
Zumindest so fühlte ich mich gerade, denke ich mir, und betrachtete mein Gesicht im Badezimmerspiegel. Es war von ersten Falten durchzogen, die mich an vergangenene Reisen erinnerten, wie den Sommer in Spanien, an dem ich scheinbar nicht wusste, was Sonnencreme war. Hach, ja.

Ich konnte mit diesen Fragen leben, die sich seit meiner Ankunft in mir auftaten. Es war okay, keine Antworten auf sie zu haben. Vor allem auf die zum eigenen Zuhause. Alles würde sich eh ergeben. Ich war müde, aber auf eine gute Art. Ich war hungrig nach mehr. Ich liebte die Stadt, aber ich hatte nichts, was mich hier hielt. Das war eines der Dinge, die mir unterwegs klar geworden war. Keine Verantwortung, keine feste Bindung. Und wenn mein Zuhause sich nur in mir befand, wenn ich selbst genau das für mich war, dann hatte ich es ja eh immer überall dabei. Irgendwie gefiel mir die Vorstellung, noch in vielen, verschiedenen anderen Städten und Orten zu leben. Vielleicht war das genau das Leben, für das ich eigentlich gemacht war. Vielleicht würde mein Leben noch in ein paar Jahrzehnten so aussehen, dass ich wenig besaß, herumreiste, überall wohnte, wo ich wollte, Menschen kennenlernte, und schrieb. Einfach darüber schrieb. Es war eine Vorstellung, die mich vergnügte, aufkratzte und zutiefst zufrieden stimmte.

“apartamentos barcelona amueblado” tippe ich spontan nur mit meinem Zeigefinger in die Suchleiste ein und haue auf den Enter-Button. Die Zukunft ist ungeschrieben, war das letzte, was ich mir gestern Abend notiert hatte. Ist sie.


 
 

by Marie Luise Ritter / 9 Comments [addtoany]

Comments

  1. Maria says

    7 März 2022 at 15:01

    ♥️

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  2. Steffi says

    7 März 2022 at 21:52

    Ich komme auch gerade aus einem Trip nach Brasilien zurück und bin bei Tag 3 Zuhause. Ich kann mich sehr gut in deinen Worten wiederfinden. Danke dafür :)

    Antworten
  3. Julia says

    8 März 2022 at 08:07

    Deine Texte sind jedes Mal ein kleines Geschenk. Danke Luise!
    Ich sitze gerade am Strand in einem Örtchen in Sri Lanka, gleichzeitig erschöpft und beseelt von der morgendlichen Surfsession, mit kratziger Stimme von Unterhaltungen mit fremden Menschen, die so schnell zu Freunden werden und fühle deine Gedanken sehr nach. Auch, wenn wir uns nicht persönlich kennen: Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass so, wie du deinen Weg gehst und gehen wirst, es genau richtig ist. Auf sein Bauchgefühl zu hören, ist meistens schon die halbe Miete <3

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  4. Ela says

    8 März 2022 at 09:36

    So so schön, angekommen zuhause in dir bist du wohl schon lange :) <3

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  5. Aylin says

    8 März 2022 at 10:27

    Liebe Luise,
    du hast Recht, der Text ließt sich tatsächlich anders als bisher, auch wenn ich gar nicht so richtig sagen kann, woran es liegt. Jedenfalls finde ich auch diesen ganz ganz wundervoll, inspirierend und toll geschrieben. ♥️
    Viele Grüße
    Aylin

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  6. Lisa says

    28 März 2022 at 15:26

    ganz viel Liebe!

    Antworten
  7. Jacki says

    1 Apr. 2022 at 17:37

    Hey,
    Bin gerade von Sansibar zurück wo ich 2 Monate gelebt habe und es sich wie ein Zuhause angefühlt hat. Fühle sehr was du fühlst. Möchte die Freiheit nicht aufgeben und mich gerade an keinen Ort binden. Bin zu neugierig was da draußen noch wartet. Und habe Angst zu schneller wieder in meinen Trott hier in Deutschland zu geraten. Mal sehen was das Leben noch für uns bereit hält.
    Nur Liebe!♥️

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    • Marie Luise Ritter says

      5 Apr. 2022 at 10:19

      Schön!!

  8. Jana says

    5 Apr. 2022 at 17:06

    Vielleicht einer meiner liebsten Texte von dir. Wie schön ist dieser Gedanke: “Und wenn mein Zuhause sich nur in mir befand”. Diese Aussage. Über einen selbst.

    Ich freue mich so deine Texte bald wieder auf echtem Papier lesen zu können, Markierungen zu machen und drin zu versinken. Vor keinem screen.

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